Grünland. Forschung gegen das Artenschwinden

Unter welchen Bedingungen gelingt die Wiederherstellung von artenreichen Blütenmeeren im Grünland besonders gut?

31.05.2021 Welches Ökosystem in Europa hat die größte Biodiversität? Überraschenderweise ist es weder der Wald noch die Küste, sondern artenreiches Grünland, also Wiesen und Weiden. Doch diese mit Gräsern und Kräutern bewachsenen Flächen wurden in den letzten Jahrzehnten zunehmend zurückgedrängt. Vicky Temperton, Professorin für Ecosystem Functioning & Services, sucht gemeinsam mit einem Team von Forscher*innen und Praktiker*innen in ihrem neuen Forschungsprojekt nach den erfolgreichsten Methoden um Grünland wiederherzustellen.

Kartierung der Stromtalwiesen bei Brackede an der Elbe. Diese Wiese wird einmal jährlich gemäht. ©Vicky Temperton
Kartierung der Stromtalwiesen bei Brackede an der Elbe. Diese Wiese wird einmal jährlich gemäht.

„Die meisten Menschen denken beim Wort ‚Wiese‘ an Rasen und Standardgras, etwa Deutsches Weidelgras“, sagt Lotte Lutz, Koordinatorin des Projekts, „uns geht es aber nicht um dieses Standardgras, sondern um die große Vielfalt, die Wiesen und Weiden haben können. Es gibt sehr viele verschiedene Grasarten. Dann gibt es noch ganz viele andere Pflanzen, Kräuter, Blüten, Stauden, die in solchen offenen Ökosystemen vorkommen. Es sind oft genau diese Arten, die die Insekten besuchen.“ Von diesen artenreichen, ökologisch ergiebigen Gründlandflächen sind allein in Niedersachen in den letzten Jahrzehnten die Hälfte verschwunden; wenn man ganz Deutschland betrachtet und mit dem Stand um 1800 herum vergleicht, ist der Anteil noch höher. Artenreiche Grünlandflächen werden zu Bauland, zu Äckern, zu dem aus ökonomischer Sicht deutlich profitableren Wald oder aber zu intensiv genutztem, artenarmem Grünland. Entsprechend vielfältig sind die darauf reagierenden Renaturierungs-Konzepte, die das Team aus Ökolog*innen und Sozialwissenschaftler*innen entwickelt. „Es kommt immer darauf an, welchen jetzigen Stand man antrifft“, erklärt Lutz, „wenn die Fläche zum Beispiel zu einem Acker geworden ist, dann kann man sie neu einsäen. Es gibt verschiedene Varianten, wie man die erwünschten Arten wieder ansiedeln kann und wie man gleichzeitig Maschinen einsetzt, um den Boden vorzubereiten. Manche der alten Weiden sind Weiden geblieben, werden aber so intensiv genutzt und gedüngt, dass sie ganz artenarm geworden ist. Erfahrungen aus anderen Renaturierungsprojekten haben gezeigt, dass es in unseren überdüngten und artenarmen Landschaften oft nötig ist, relativ stark einzugreifen um eine artenreiche Wiesen oder Weide wiederherzustellen. Da es eine gesetzliche Vorgabe gibt, dass man bestehendes Grünland nicht pflügen darf, selbst wenn die Intervention zu einer ökologischen Aufwertung führt, spielen die gesetzlichen Rahmenbedingungen beim Renaturierungserfolg womöglich auch eine große Rolle.“

Das Projekt wird in zwei Phasen durchgeführt: In der ersten Phase identifizieren Temperton und ihr Team etwa 90 Flächen (unterteilt in drei Projektregionen, Nord-, Süd- und Mitteldeutschland) in ganz Deutschland, deren Erforschung besonders lohnenswert ist, um verschiedene Facetten des Erfolges zu erfassen. In der zweiten Phase werden diese ausgewählten 90 Renaturierungs-Flächen aus ökologischer und sozioökonomischer Perspektive genauer untersucht, um aus bisherigen Erfahrungen strukturiert lernen zu können. Es gibt viele Parameter, die zu Erfolg und Misserfolg von Renaturierungen beitragen können: Es kann sein, dass eine fehlende Wertschätzung für die etlichen Ökosystemleistungen von artenreichem Grünland oder aber bestimmte gesetzlich geregelte Eingriffsmöglichkeiten und Finanzierungsmodelle Schwierigkeiten beim Renaturierungserfolg mit sich bringen, genauso wie die Etablierung von seltenen Pflanzen- oder Insektenarten. Es kann auch sein, dass Projekte mit vielen Akteuren besser funktionieren als Projekte mit nur einigen Stakeholdern. Grassworks wird es herausfinden.

Gleichzeitig werden in jeder Projektregion Reallabore eingerichtet, in denen in Zusammenarbeit mit lokalen Akteur*innen wie Landwirt*innen oder Biosphärenreservats-Verwaltungen konkrete Renaturierungsmaßnahmen umgesetzt werden. Die Reallabore sollen als Leuchturmprojekte dienen, für einen Bewusstseinswandel dahin, dass nicht noch mehr Grünland zerstört, sondern dass jetzt Grünland flächendeckend, und vor allem noch erfolgreicher als bisher, aufgewertet wird.

Das Ziel des Forschungsprojektes fasst Temperton wie folgt zusammen: „Artenreiches Grünland ist ein Ökosystem, dass stark ist gegenüber Extremwetterereignissen, das für Insekten Nektar, Pollen und Nistmöglichkeiten bietet, Kohlenstoff aus der Atmosphäre speichert, Heu, Honig und Tierprodukte liefert. Doch wir schätzen es bei weitem nicht so, wie wir es in einer sich stark verändernden Umwelt tun sollten. In Grassworks wollen wir für Deutschland herausbekommen, was genau zum Erfolg bei der Wiederherstellung von solchen starken Ökosystemen hilft und was weniger. Wenn wir artenreiches Grünland besser und öfter wiederherstellen würden, wäre dies ein signifikanter Beitrag zur Verbesserung vieler gegenwärtiger Umweltprobleme wie Insektensterben oder Lebensraumverlust, und könnte Resilienz gegenüber dem Klimawandel und die Verbindung der Menschen zur Natur fördern.“

Das vom BMBF geförderte Projekt Grassworks unter der Leitung von Vicky Temperton und Prof. Anita Kirmer von der Hochschule Anhalt (Bernburg) findet an der Leuphana in Kooperation mit der Hochschule Anhalt-Bernburg, der TU München, dem Thünen Institut für Biodiversität Braunschweig, der Universität Greifswald, und dem Deutschen Verband für Landschaftspflege (DVL) als wichtigem Praxispartner statt.