Armin Beverungen: Wie Amazon Städte verändert

11.03.2022 In seinem aktuellen Projekt „Automating the Logistical City: Space, Algorithms, Speculation“ erforscht Armin Beverungen gemeinsam mit Ilia Antenucci und Maja-Lee Voigt, wie Amazon urbane Räume verändert. Dazu untersucht der Professor für Organisation in digitalen Kulturen wie die von Amazon ausgelöste logistische Revolution im Einzelhandel mittels Fulfillment-Centern und Auslieferungswegen Einfluss auf Städte und Architekturen nimmt.

 „Es geht mir um die Sichtbarmachung dieser Prozesse“, erläutert Beverungen das Ziel seines Projekts. ©Brinkhoff-Mögenburg/Leuphana
„Das ist das Faszinierende an Amazon – dass die Automatisierung ganz durchgreift: Vom Versuch, unsere Wünsche zu beeinflussen, über die Art wie Arbeit organisiert wird in der Logistikkette bis zu den Auswirkungen auf die Städte“, sagt Prof. Dr. Armin Beverungen.

Jeff Bezos Flug in den Weltraum, Streiks in Amazon-Lagern in Bad Hersfeld und Leipzig im Dezember 2021 und keine Toilettenpausen für Amazon-Fahrer*innen in den USA – der Amazon-Konzern ist weithin bekannt. Auch wissenschaftlich wird Amazon erschlossen, zuletzt mit Studien zur Arbeit in der last mile, bei den Amazon-Lieferdiensten. Beverungen interessiert sich für einen anderen, im bisherigen Diskurs weitgehend unbeleuchteten Aspekt: „Wie verändert Amazon die Stadt? Mir geht es nicht nur darum, ob die Läden zu machen, sondern was für eine Infrastruktur besteht, wie die Städte automatisiert werden und was mit den Robotern ist, die vielleicht als nächstes auf unsere Gehwege kommen, neben den ganzen Rollern, die wir ja gerade wieder loswerden wollen.“ Ausgangspunkt war für den Soziologen die Debatte über das zweite weltweite Hauptquartier von Amazon, das in New York gebaut werden sollte. Die New Yorker*innen, unterstützt durch die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, wehrten sich erfolgreich gegen die Errichtung des neuen Hauptquartiers. Doch Amazons Einfluss auf Städte ist nicht nur in New York, sondern auch in Städten wie Hamburg und deren Umfeld zu spüren. In Winsen an der Luhe steht ein großes Warenlager, und im Hamburger Hafen ein Verteilzentrum, von dem aus Pakete ausgeliefert werden. „Das erste Ziel des Projektes ist da ein bisschen Licht zu schaffen und zu schauen: was passiert in unseren Städten, wo werden diese Warenlager gebaut? Wie verändern sie auch eine Topografie, also wo entstehen neue Zentren und wie sind diese verknüpft? Und wie greift das dann in die Stadt ein?“, beschreibt Beverungen die Stoßrichtung seines Forschungsvorhabens.

Wird der Erfolg von Amazon dazu führen, dass über kurz oder lang die Innenstädte tot und die Vorstädte voll von riesigen Warenlagern sind? „Das wäre ein bisschen zu kurz gefasst“, erklärt Beverungen, „denn zur Infrastruktur von Amazon gehört natürlich auch mehr“ - zum Beispiel die Warenlager (von Amazon selbst euphemistisch als „Fulfillment Center“ bezeichnet). Daneben gibt es überregionale Verteilerzentren, etwa in Dortmund, die Waren zwischen den Lagern verteilen. Da die Waren dort ankommen, sind die Verteilerzentren häufig in der Nähe von Flughäfen. Daneben gibt es noch sogenannte kleinere Verteilerzentren, etwa im Hamburger Hafen oder in Stade, wo vorsortierte Wägelchen aus den Lagern an oft selbstständige Lieferant*innen ausgegeben werden. „Doch Amazon will noch mehr“, weist Beverungen hin, „in den USA kaufen sie Ladenketten, wie etwa Whole Foods, auf und eröffnen auch eigene Läden. Mit diesen Läden zieht Amazon in die Innenstädte ein. Die leeren Flächen der vorigen – von Amazon verdrängten – Einzelhändler*innen werden auf diese Weise wiederbelebt. Darum herum entsteht dann auch wieder eine Infrastruktur aus Zuliefer*innen, Händler*innen und Lieferant*innen.“

Dass der Versandriese von Kund*innen so bereitwillig angenommen wird, hat einen einfachen Grund: „Dort einzukaufen ist einfach extrem angenehm und convenient.“ Dieser Convenience steht eine stark überwachte und prekäre Arbeit gegenüber, die zur Folge hat, dass pro Jahr etwa 80% der Mitarbeiter*innen in Warenlagern das Unternehmen verlassen. „Das macht Amazon aber sozusagen wenig“, pointiert Beverungen, weil Amazon kaum Qualifizierungen fordert und somit schnell für Ersatz sorgen kann. Der Warenfluss ist indes fast völlig durchautomatisiert. Beverungen hat bereits in seinen früheren Studien zur Soziologie der Arbeit gezeigt, dass diese Automatisierung allerdings bedeutet, dass es auch immer viel (wenn auch wenig erfüllende) menschliche Zuarbeit zu der maschinellen Tätigkeit gibt. Der Konzern arbeitet darüber hinaus daran, die Automatisierung auch auf die Konsument*innen auszudehnen. „Es wird versucht, die Bestellungswünsche der Konsumenten vorherzusagen. Hier wird eine Grundfrage des Kapitalismus besonders deutlich: Geht es um Profit oder um Wunscherfüllung? Amazon sagt natürlich, es ginge ihnen um Wunscherfüllung, um Fulfillment. Und das geht mit Automatisierung einfacher. Das ist auch das Faszinierende an Amazon – dass die Automatisierung ganz durchgreift: Vom Versuch, unsere Wünsche zu beeinflussen, über die Art wie Arbeit organisiert wird in der Logistikkette bis zu den Auswirkungen auf die Städte. Weil es so durchgreifend ist, stellt sich die Frage der Ausbeutung auch nochmal ganz anders als bei anderen Unternehmen, nämlich nicht nur gegenüber den Arbeiter*innen sondern auch gegenüber den Kosument*innen.“ 

 „Es geht mir um die Sichtbarmachung dieser Prozesse“, erläutert Beverungen. „Das interessante daran ist, dass die Gestaltungsspielräume – für Gewerkschaften, für Konsumenten oder eben auch die Städte – im Moment überhaupt nicht sichtbar sind. Oder zumindest sehr unklar, unscharf. Da wird es Leute geben, die sich da den Kopf zerbrechen in manchen Städten in Deutschland. Aber viele haben da auch noch überhaupt nicht den Überblick, was da gerade passiert.“ Er ist vorsichtig optimistisch: „Natürlich kann man sich auch gut vorstellen, dass man mit diesem öffentlichen Raum, etwa in den Fußgängerzonen, etwas anderes machen kann als Kommerz. Das ist natürlich die Frage, wie die Stadtentwicklung das aufgreift – und es muss ja nicht zwingend in leeren, depressiven Städten münden.“

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