„Wir müssen viel Kommunikationsarbeit leisten“
Reihe „Wie kommt Wissenschaft in die Politik?“: Prof. Dr. Philipp Sandermann
15.09.2025 In der Reihe „Wie kommt Wissenschaft in die Politik?“ stellen wir Forschende der Leuphana vor, die Ihre Expertise in Politikbeiräten weitergeben. Prof. Dr. Philipp Sandermann hat seine Expertise in die 17. Auflage des Kinder- und Jugendberichts eingebracht. Der Bericht befasst sich mit den Bedingungen und künftigen Herausforderungen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland.

Eigentlich ist der 17. Kinder- und Jugendbericht bereits seit September 2024 beim Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMBFSFJ) abgegeben. Aber wenn Prof. Dr. Philipp Sandermann von seiner Arbeit in der Sachverständigenkommission für diesen Bericht erzählt, zeigt sich, dass die Aufgabe längst nicht beendet ist. Denn aktuell reist der Professor für Sozialpädagogik der Leuphana viel durch Deutschland, um die Ergebnisse vorzustellen und beispielsweise mit Vertreter*innen von Kommunen zu diskutieren. „Diese Kommunikationsarbeit ist wichtig, auch um unsere Erkenntnisse auf die Einzelsituation vor Ort zu übertragen“, sagt der Wissenschaftler.
Zweieinhalb Jahre hat er gemeinsam mit 13 weiteren Expert*innen den Bericht erarbeitet und geschrieben. Berufen wurden die Mitglieder 2022 von Lisa Paus, der damaligen Bundesministerin des BMBFSFJ. In jeder Legislaturperiode wird ein solcher Bericht verfasst. Jeder dritte Bericht – so auch dieser – ist ein „Gesamtbericht“. In diesen werden nicht nur bestimmte Themen behandelt, sondern die gesamten Forschungsstände zu jungen Menschen in Deutschland und der Infrastruktur der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland verdichtet zusammengetragen. Zudem werden sie in Leitlinien für die notwendige Politik des kommenden Jahrzehnts überführt. Die Expert*innenkommission setzt sich nicht nur aus Forscher*innen sondern auch aus Vertreter*innen von Organisationen wie dem Kompetenzzentrum für Kinder- und Jugendbeteiligung Brandenburg, dem Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt und dem Bayerischen Jugendring zusammen.
Sandermann befasst sich in seiner Forschung intensiv mit Vertrauen und hat zu diesem Thema ein Kapitel des Berichts federführend verfasst, aber: „Keines der Kapitel wurde lediglich von einer Person geschrieben“, betont der Wissenschaftler: „Alle haben alle alles gegengelesen und mitgeschrieben“, berichtet er aus der Arbeit der Kommission. Und: „Alles, was im Bericht steht, haben wir selbst geschrieben.“
Es sei herausfordernd und schön zugleich, mit 13 anderen Menschen eine Monografie zu erarbeiten. „Wir betrachten uns als Gruppe“, beschreibt er das Gefühl unter den Kolleg*innen. 22 Mal habe sich die Sachverständigenkommission in Präsenz an unterschiedlichen Orten getroffen, jeweils in Retreats von einem bis eineinhalb Tagen. „Insgesamt haben wir 40 Tage in Präsenz gearbeitet.“ Hinzu komme noch die Zeit fürs Schreiben zwischen den Treffen.
Unterstützt wurde die Kommission in ihrer ehrenamtlichen Arbeit von vier Wissenschaftlichen Mitarbeitenden am Deutschen Jugendinstitut. Begleitet wurden sie von einer Referentin aus dem Ministerium. „Ihre Arbeit war rahmend. Sie hat für eine sehr gute Kommunikation gesorgt“, erinnert sich Sandermann, aber keinerlei inhaltlichen Einfluss auf die Arbeit der Kommission genommen, betont der Forscher mit Blick auf die Arbeit: „Wir haben unsere Unabhängigkeit gewahrt und das ist auch ganz entscheidend für die Legitimität eines solchen Berichts.“
Dieser dient nicht nur in der Bundespolitik als Richtungsgeber für künftige Maßnahmen, sondern auch auf der Ebene der Länder und Kommunen. Hier spricht Philipp Sandermann auch von einer Übersetzungsleistung: Damit meint er das Aufzeigen von Möglichkeiten, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in der Praxis zu nutzen und aus ihnen Schlüsse für die Situation vor Ort zu ziehen.
Sandermann geht von einem Zeitraum zwischen vier bis zwölf Jahren aus, bis die Erkenntnisse aus Berichten wie dem, den er mitverfasst hat, umfassend in der Praxis ankommen. Wenn Menschen sich über solche Zeiträume wundern, nennt er zwei Gründe. So sei es zum einen nicht ohne weiteres möglich, wissenschaftliche Erkenntnisse baugleich in die Praxis zu transferieren. „Das hat nichts damit zu tun, dass wissenschaftliche Erkenntnisse bewusst ignoriert werden“, betont der Sozialpädagoge, „sondern es geht um situationsangemessene Schlussfolgerungen auf einem anderen Konkretionslevel. Das ist Zusatzarbeit, die geleistet werden muss. Und das braucht Zeit und Energie.“ Zum anderen stoße die Umsetzung im Falle des Kinder- und Jugend-Berichts durch die über Ressorts organisierte Struktur von Politik auf Hürden. „Die Belange junger Menschen werden nicht nur im BMBFSFJ verhandelt. Klimafragen, Migrationsfragen, Fragen der Verteidigungs- oder Gesundheitspolitik z.B. sind anderen Ministerien zugeordnet, obwohl junge Menschen z.B. am meisten, weil noch am längsten vom Klimawandel betroffen sein werden.“ Sandermann betont, dass viel politische Arbeit hinter den Kulissen stattfinde und öffentlich zunächst nicht sichtbar sei: „Frau Paus zum Beispiel hat viel versucht, um in andere Ministerien hineinzuwirken. Was dabei herauskommt sagt nicht immer etwas darüber aus, was alles versucht wurde.“
Auch für ihn selbst sei die Arbeit bereichernd gewesen: „Ich habe unfassbar viel gelernt“, sagt Philipp Sandermann. Auch manche Forschungsidee sei entstanden. „Und ich freue mich, dass unsere Studierenden den aktuellen Stand der Literatur im Bericht der Kommission finden“, erläutert der Leuphana-Professor. Das erleichtere ihnen bis auf Weiteres so manche Hausarbeitsrecherche.