Schlau mit der Natur wirtschaften für mehr Klimaschutz: Vicky Temperton
Reihe: "Wie kommt Wissenschaft in die Politik?"
01.10.2025 In der Reihe „Wie kommt Wissenschaft in die Politik?“ stellen wir Forschende der Leuphana vor, die ihre Expertise in Politikbeiräten weitergeben. Prof. Dr. Vicky Temperton ist seit eineinhalb Jahren Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat für Natürlichen Klimaschutz (WBNK). Dieser berät die Bundesregierung unter anderem zur Weiterentwicklung des Programmes Aktion Natürlicher Klimaschutz (ANK).

Für die meisten Menschen sehen Wiesen und Felder oder Moore lediglich aus, wie eine Sammlung aus Gräsern und Kräutern. Doch sie bergen viel Potenzial für den Klimaschutz, denn vor allem Moore aber auch Dauergrünland können große Mengen Kohlendioxid (CO2) im Boden speichern. Das Gas spielt eine zentrale Rolle im Klimawandel: Je mehr es in unserer Atmosphäre vorkommt, desto schneller erhitzt sich unser Planet.
Wie aber gelingt es, möglichst viele natürliche Ökosysteme, wie Moore, Wälder und Grünland für den so genannten natürlichen Klimaschutz einsetzen zu können? Mit dieser Frage befassen sich die 16 Expert*innen im Wissenschaftliche Beirat für Natürlichen Klimaschutz (WBNK). Prof. Dr. Vicky Temperton von der Leuphana ist eine von ihnen. Die Professorin für Ecosystem Functioning & Services wurde im März 2024 von der damaligen Bundesumweltministerin Steffi Lemke in den Beirat berufen.
Der WBNK berät die Bundesregierung vor allem zur Weiterentwicklung des Aktionsprogramms Natürlicher Klimaschutz (ANK): „Mit 3,5 Milliarden Euro ist es die bisher größte Investition in Umweltschutz seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland“, sagt Vicky Temperton über das Programm, in dem von 2024 bis 2028 verschiedene Maßnahmen zur Wiederherstellung von Ökosystemen geplant sind.
Die Maßnahmen des ANK schützen nicht nur das Klima, sondern stärken auch die Anpassungsfähigkeit unserer Ökosysteme und machen sie widerstandsfähiger gegen die Folgen des Klimawandels. Das Programm trägt zur Erhaltung der Biodiversität bei und zur Schaffung resilienter Landschaften, die künftigen Herausforderungen gewachsen sind. „Um den Herausforderungen im Landnutzungssektor zu begegnen, muss das ANK fortgesetzt, zügiger als bisher umgesetzt und vor allem weiter ausgebaut werden“, betont Temperton.
„Wir arbeiten nicht für die Bundesregierung und das Bundesumweltministerium (BMUKN), sondern mit ihnen“, stellt die Leuphana Professorin die Unabhängigkeit der 16 Expert*innen des Beirats klar. Konkret sieht das so aus: Im Vorfeld wurde von anderen Expert*innen das „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ erarbeitet. Der aktuelle WBNK prüft nun einerseits, ob das Aktionsprogramm so umgesetzt werden kann wie geplant, und andererseits, wie es sinnvoll weiterentwickelt werden kann. Hinzu kommen aktuelle Fragen aus der Politik, zu denen das Gremium Stellungnahmen formuliert. „Dabei wird viel diskutiert und auch konstruktiv gestritten“, sagt Temperton über die Treffen, die alle zwei Monate im Wechsel online und an verschiedenen Orten in Deutschland stattfinden.
Außerdem tauschen sich die Expert*innen des WBNK mit dem Expert*innenrat für Klimafragen und dem Bundesamt für Naturschutz aus. Und sie unterstützen mit ihrer Expertise zum Thema natürlicher Klimaschutz Wissenschaftliche Bundesbehörden wie das Umweltbundesamt (UBA) und stehen dabei im engen Austausch mit Einrichtungen wie dem Julius-Kühn-Institut und dem Thünen-Institut.
Im WBNK arbeiten nicht nur Forschende aus der Ökologie, wie Temperton, sondern auch Vertreter*innen anderer Fächer, wie der Umweltrechtler Prof. Dr. Wolfgang Köck von der Universität Leipzig, die Volkswirtin Prof. Dr. Katrin Rehdanz von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, der Vegetationsökologe Prof. Matthias Drösler von der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf in Freising, die Landschaftsökologin Dr. Franziska Tanneberger vom Greifswald Moor Centrum und die Meeresbiologin Prof. Dr. Antje Boetius. Die ehemalige Leiterin des Alfred-Wegener Instituts (AWI) ist inzwischen Präsidentin des Monterey Bay Aquarium Research Institute (MBARI), USA.
„Wir arbeiten insgesamt an sieben Handlungsfeldern“, sagt Temperton. Dazu gehören Moore, Wälder, mineralische Böden, Siedlungsräume, Auen, Meere und Küsten und Schutzgebiete. Aktuell arbeitet der WBNK dazu, wie sich Extremereignisse, bspw. vermehrte Dürren und Überflutungen, auf das Potenzial der Ökosysteme auswirken, Kohlenstoff zu speichern. „Hier werden störungsangepasste Ökosysteme, wie artenreiches Grünland als multifunktionales System künftig mehr bieten können, als es im Aktionsplan Natürlicher Klimaschutz angenommen wurde“, erläutert Temperton. Die Diskussionen im Beirat seien intensiv und ungeheuer anregend – auch für die eigene Forschung.
Es gehe bei natürlichem Klimaschutz weniger um Verbote, sondern um sinnvolle Veränderungen, die letztlich sogar dazu führen, dass Landwirte und die Gesellschaft mehr Nutzen aus den Flächen ziehen können. Vicky Temperton nennt es so: „Es geht nicht darum, nicht mehr zu wirtschaften, sondern es geht darum, schlau zu wirtschaften.“ Die Politik müsse letztlich Anreize schaffen, dass Landwirte und NGOs das auch tun: „Dazu gehört auch, bürokratische Hemmnisse abzubauen“, betont sie.
Insgesamt gelte es, schnell zu handeln, um die Auswirkungen der Klimakrise möglichst gering zu halten. „Trotz der vielen Diskussionen haben wir im Gremium deshalb ein hohes Arbeitstempo“, sagt Temperton. Der Wissenschaftliche Beirat für Natürlichen Klimaschutz ist zunächst für drei Jahre ehrenamtlich tätig. Unterstützt wird er von der Geschäftsstelle WBNK beim Bundesamt für Naturschutz in Bonn. Das Team organisiert beispielsweise die Treffen und stellt Unterlagen bereit. Außerdem gibt es Finanzmittel, damit der WBNK weitere Expert*innen beauftragen kann, Gutachten zu bestimmten Fragen zu erstellen.