Was ist gerecht? Prof. Dr. Bernhard Hohlbein referiert zu Schmerzensgeld

12.04.2022 In Deutschland ist es anerkannte Rechtstradition, dass verursachter Schaden in der Regel zu ersetzen ist. Beim Ausgleich erlittener Schmerzen ist allerdings fraglich, wie viel Geld dafür angemessen ist. Und dies ist nicht erst seit Kurzem so. Vielmehr zählt das Thema schon seit mehr als 50 Jahren zu den „traurigsten Kapiteln“ der deutschen Zivilrechtsprechung. Es stellt sich die berechtigte Frage: Ist eine Änderung in Sicht?

Hohlbein skizzierte alternative Lösungsmöglichkeiten, verwies aber darauf, dass die Rechtsentwicklung ein eher evolutionärer Prozess sei - kurzfristige und substantielle Änderungen werde es aller Voraussicht nach daher nicht geben. ©© Mathias Paulokat
Hohlbein skizzierte alternative Lösungsmöglichkeiten, verwies aber darauf, dass die Rechtsentwicklung ein eher evolutionärer Prozess sei - kurzfristige und substantielle Änderungen werde es aller Voraussicht nach daher nicht geben.

Genau dieser Frage, wie viel Schmerzensgeld denn nun gerecht ist, ging Prof. Dr. Bernhard Hohlbein von der Leuphana Law School im Rahmen einer offenen Abendvorlesung der Universitätsgesellschaft Lüneburg nach. Auf Einladung von Prof. Dr. Heike Düselder, Vorsitzende der Universitätsgesellschaft Lüneburg und Museumsleiterin, leitete Hohlbein damit zugleich den Sommersemester-Auftakt des Universitätsgesellschaftlichen Dienstags ein. Dabei handelt es sich um eine thematisch vielfältige Vorlesungsreihe, die von Lehrenden der Leuphana Universität Lüneburg bestritten wird. Das Interesse an Hohlbeins Thema war groß: Neben einem gut besuchten Museum nahmen auch viele Teilnehmer per Livestream teil. Auch mich als ehemaligen Studenten der Lüneburger Wirtschaftsrechtswissenschaften zog es an diesem Abend dafür von Berlin zurück in die Hansestadt.

Der weite Weg hat sich gelohnt. Denn Hohlbein erläuterte mit ein wenig rechtshistorischem Hintergrund, den üblichen Anspruchsgrundlagen und einigen Beispielsfällen wie Schmerzensgeldentscheidungen in Deutschland getroffen werden. Und wie hoch – oder in manchen Fällen: niedrig – diese ausfallen. Dabei warf der Vergleich von zugesprochenen Summen bei prominenten Geschädigten im Rahmen von Schmerzensgeldauseinandersetzungen mit der Presse und solchen Ansprüchen, die schwerstgeschädigten Opfern etwa von medizinischen Falschbehandlungen zugesprochen werden, unmittelbare Gerechtigkeitsfragen auf. Fragen, die Hohlbein versehen mit einigen launigen Anmerkungen präzis ausbreitete und zu beantworten suchte. Bei zusätzlicher Betrachtung der gängigen Prozessdauer von Arzthaftpflichtfällen und dem Verhältnis von Schmerzensgeldzahlungen im Gegensatz zu Kfz-Nutzungsausfallentschädigungen bei einem rein materiellen Schaden, stellten sich dann auch erste konkrete Fragen für das Publikum. Doch Hohlbein identifizierte noch weitere Problemstellungen, wie etwa den Konflikt einer Einmalzahlung als Kompensation für ein andauerndes körperliches oder psychisches Leiden. Ist dies überhaupt eine geeignete Kompensation oder wäre eine Rentenzahlung nicht angemessener? Und was ist am Ende mit den Opfern, die zwar einen Anspruch haben und doch entschädigungslos bleiben, da sie von nicht zahlungskräftigen und nicht versicherten Verursachern geschädigt wurden?

Hierfür skizzierte Hohlbein alternative Lösungsmöglichkeiten, verwies aber darauf, dass die Rechtsentwicklung ein eher evolutionärer Prozess sei. Kurzfristige und substantielle Änderungen werde es aller Voraussicht nach daher nicht geben. Solange die Rechtsprechung so ist wie sie ist, gab der Referent den Zuhörern noch einige Risikomanagementtipps auf den Weg. So viel sei gesagt: Angesichts hoher Schadenssummen auch bei materiellen Schäden, zähle der Abschluss einer privaten Haftpflichtversicherung dazu. Die lebendige Fragerunde in Präsenz und aus dem Stream zeigte, dass auch ein rein juristisches Thema für großes Interesse sorgt – wenn dieses die Kernfrage von Gerechtigkeit berührt und so kurzweilig und zugleich sachkundig vorgetragen wird. Fazit: Ein lohnender Abend und gelungener Auftakt ins Sommersemester. Der Universitätsgesellschaft Lüneburg kann man zu dieser Veranstaltungsreihe und auch dem gewählten hybriden Format daher nur gratulieren.

Den Themenplan der Universitätsgesellschaft für das Sommersemester finden Sie hier: 

https://ug-lg.de/universitaetsgesellschaftlicher-dienstag/

Text und Foto: Mathias Paulokat