Existenzsicherungsrecht: Bericht über die Zweite Junge Tagung Sozialrecht

14.05.2025 Im Rahmen der Zweiten Jungen Tagung Sozialrecht vom 17. bis 19. März 2025 in Berlin beleuchtete Klara Lübbers, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leuphana Law School, die verfassungsrechtlichen Grenzen der Rückforderung zu Unrecht gewährter Kindergeldzahlungen. Ihr Beitrag zeigt auf, dass bestehende Regelungen zu einer Verletzung des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum führen können – ein Plädoyer für verfassungskonforme Auslegung und effektiven Grundrechtsschutz im Zusammenspiel von Steuer- und Sozialrecht.

©Lamia Amhaouach-Lares
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Bericht über die Zweite Junge Tagung Sozialrecht (17. bis 19. März 2025) 

Vom 17. bis 19. März 2025 fand in Berlin die Zweite Junge Tagung Sozialrecht unter dem Generalthema „Solidarität und Selbstverantwortung“ statt. Klara Lübbers, Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leuphana Law School, referierte über die Rückabwicklung zu Unrecht gewährter Kindergeldzahlungen, die auf Leistungen nach dem SGB II angerechnet wurden. Sie zeigte auf, dass die ausgleichslose Rückforderung dieser Zahlungen das Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) verletzt. 

Bereits während ihres Studiums war Lübbers als ehrenamtliche Rechtsberaterin in der Law Clinic an der Bucerius Law School aktiv. In diesem Rahmen beriet sie mehrfach zu einer Fallkonstellation, die zum Ausgangspunkt des Tagungsbeitrags wurde. Dabei ging es um Folgendes: Hat eine Person zu Unrecht Kindergeld bezogen, muss sie die erhaltenen Leistungen an die Familienkasse zurückzahlen (§ 37 Abs. 2 AO). Probleme bereitet die Rückzahlung allerdings dann, wenn die erstattungspflichtige Person im Bezugszeitraum von Leistungen nach dem SGB II (sog. Bürgergeld) gelebt hat und ihr die erhaltenen Leistungen bedarfsmindernd auf den Bürgergeldsatz angerechnet wurden (§§ 19 Abs. 3, 11 SGB II). In dieser Konstellation verlangt die Familienkasse die Rückzahlung eines (nicht selten vierstelligen) Geldbetrags, der der erstattungspflichtigen Person im Bezugsmonat zur Sicherung ihres menschenwürdigen Existenzminimums diente.

Im Tagungsbeitrag analysiert Lübbers die rechtlichen Optionen, die Betroffenen in dieser Situation verbleiben. Sie zeigt auf, dass effektive Rechtsschutzmöglichkeiten sowohl im Sozial- als auch im Steuerrecht fehlen: Gegen das Jobcenter, das sich durch die Anrechnung des zu Unrecht gewährten Kindergeldes Leistungen erspart, steht Betroffenen grundsätzlich kein sozialrechtlicher Ausgleichsanspruch zu. Zugleich besteht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs in der Regel kein Anspruch auf einen Billigkeitserlass (§ 227 AO) der Rückforderung (vgl. BFH, Urt. v. 13.9.2018, III R 19/17, Rn. 17). Ein zwischenbehördlicher Ausgleich gemäß der §§ 102 ff. SGB X (analog) ist ebenfalls ausgeschlossen.

Lübbers zufolge verletzt die ausgleichslose Rückforderung existenzsichernder Leistungen das Grundrecht auf die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG). „Die Zergliederung des Sozialleistungssystems darf hier nicht zu einer Zergliederung des Grundrechtsschutzes führen“, so Lübbers. Sie empfahl, das Zusammenspiel der sozial- und steuerrechtlichen Vorschriften in der fachgerichtlichen Rechtsprechung stärker zu berücksichtigen und im Wege der verfassungskonformen Auslegung einen Anspruch auf einen Billigkeitserlass gemäß § 227 AO zu gewähren.

Eine ausführliche Version des Beitrags sowie aller weiteren Vorträge wird im zeitnah erscheinenden Tagungsband veröffentlicht. Zudem wird ein zusammenfassender Tagungsbericht der Organisator:innen Lamia Amhaouach-Lares, Dr. Ansgar Kalle und Dr. Lara Wiese in Kürze in der Neuen Zeitschrift für Sozialrecht (NZS) erscheinen.