Patricia Wedler ©Privat

Zwischen Bühne, aktivistischem Protest und kritischer Stadtforschung. Nachruf auf unsere Kollegin und Freundin Patricia Wedler

29.06.2023

„Urbanes Molekül“ und „singende Feuilletonistin“ sind nur zwei Beschreibungen, mit denen Patricia Wedler in den ersten Nachrufen im Juni 2023 in der ZEIT, in der taz oder auf BYTE FM treffenderweise gewürdigt wurde. Nur wenige Wochen, bevor diese Zeilen zu lesen waren, wurde sie noch von der Hamburger Pudel Stiftung mit dem „Unbestechlichkeitspreis“ ausgezeichnet – einem Preis für Menschen, „die Kunst nicht mit K schreiben, weil Kohle, Korruption und Kacke auch damit anfangen“. Allein das sagt schon vieles über unsere Kollegin aus – über ihre kluge Arbeit in der Forschung, ihre konsequente und kreative Art als Künstlerin und über ihre kritisch-reflektierte Sicht auf die Zivilgesellschaft. Aber es sagt auch viel über ihr Wesen als warmherzigen, empathischen und offenen, manchmal auch coolen und im positivsten aller Sinne launisch-ironischen Menschen, der über sich selbst lachen konnte. Am 14. Juni ist Patricia oder Patex, wie sie aufgrund ihres Künstlerinnen­namens DJ Patex auch am Institut für Soziologie und Kulturorganisation der Leuphana Universität genannt wurde, an den Folgen ihrer ALS-Erkrankung verstorben.

Patex war immer da, wo es um Subkultur, Stadtentwicklung und Musik ging. Seit 2003 als Kommilitonin im Studiengang Angewandte Kulturwissenschaften – damals noch an der Universität Lüneburg – in den Seminaren zu kritischer Theorie bei Roger Behrens oder zu Kreativität, Stadt und Kulturpolitik bei Christoph Behnke oder Volker Kirchberg. Auf der Bühne im Golden Pudel Klub oder auf dem Kulturschiff MS Stubnitz, als dieses noch zwischen Hamburg und Rostock hin und her pendelte und wo Robin Kuchar sie das erste Mal als Bassistin und Sängerin von Knarf Rellöm erlebte. Und spätestens ab Ende der 2000er Jahre in der „Recht auf Stadt“ Bewegung in Hamburg – als die Diskurse um Gentrifizierung, Gängeviertel und die urbane Verdrängung von Kunstschaffenden einen ersten Höhepunkt erlebten und wo Volker Kirchberg sie kennen- und schätzen lernte. Schon damals waren eine kritische Sicht auf Gesellschaft und Stadtentwicklung ein bestimmendes Thema in ihren wissenschaftlichen Ideen und in ihrer Musik – noch weit vor dem ersten Album „Randnotizen aus Idiot Town“ ihres Soloprojekts „School of Zuversicht‘: „Die Stadt steht im Mittelpunkt, weil sie unsere Fabrik, unsere Arbeits- und Produktionsstätte ist. Aber idiot town befindet sich nicht nur in Hamburg, idiot town ist überall!“, so Patex in einem Interview. Idiot town – das städtische Ideal von Kohle, Korruption und Kommerz und das Gegenteil von freiem Kunstschaffen und Kreativität.

Ihre Erfahrungen und Überlegungen zu diesem urbanen Ungleichgewicht führte sie auch auf kulturwissenschaftlich-kritischer Ebene fort. Angefangen mit ihrer hervorragenden Magisterarbeit zur „Rolle des Künstlers in der neoliberalen Stadtentwicklung - Projekte der „Recht auf Stadt“-Bewegung in Hamburg“, in der sie die Spannung und Widersprüchlichkeit künstlerischen Handelns zwischen Engagement für das Recht auf Stadt und Künstlerkarriere darstellt und zum einen Skepsis der Künstler gegen städtische Umarmungen, zum anderen aber auch deren Bereitschaft, dort „mitzuspielen“ in den Blick nimmt.

Fortgeführt als Mitarbeiterin im Verbundprojekt „Stadt als Möglichkeitsraum (SaM)“ zur nachhaltigen, künstlerisch-kulturell orientierten und sozial kompatiblen Stadtentwicklung, wo Constantin Alexander sie in Hannover kennenlernte, und parallel als Teil der „Planbude“, einem Modellprojekt zur Bürgerbeteiligung für die Neubebauung des ehemaligen Esso-Häuser-Geländes in Hamburg St. Pauli – in einem Team aus Wissenschaftler*innen, Aktivist*innen und Künstler*innen.

Und als vorläufigen Höhepunkt federführend bei der Konzeption und Arbeit im internationalen Projekt „Critical Art(ist)s and Urban Development - A collaborative study comparing German and Israeli Cities (CAUDE)“ ab 2015 beteiligt. Mit Volker Kirchberg und mit Avner de Shalit von der Hebräischen Universität Jerusalem ging es hier um ihr Herzensthema – die Frage, welche Alternativen es gegenüber den dominanten aktuellen urbanen Lebens- und Arbeitsformen gibt – und welchen Beitrag Kunstschaffende dazu leisten können. Sie formulierte die Idee, politisch-kritischer künstlerischer Interventionen in urbanen Räumen im Vergleich norddeutscher und israelischer Großstädte zu untersuchen.  Auf Basis der empirischen Forschung in Deutschland und Israel und ihrer Erfahrungen aus der Planbude entwickelte sie dann 2018 ein hochinteressantes und vielversprechendes Dissertationsprojekt zu „Realen Utopien als Entwürfe künftiger Stadtgesellschaft: Eine Analyse urbaner Heterotopien an der Schnittstelle von Künstler- und Sozialkritik.“

Dieses Projekt konnte sie leider nicht mehr fertigstellen. Was nun bleibt sind Erinnerungen. Erinnerungen an eine akribisch und immer fundiert arbeitende Kollegin, die in den sozialwissenschaftlich-empirischen Interviews mit Behörden und Kulturverwaltungen auch durchaus bissig werden konnte: „Bedeutet das nicht, dass man in Kauf nimmt, dass gewisse Formen von künstlerischem Schaffen durch die aktuelle Kulturpolitik verunmöglicht werden? Ich habe den Eindruck, es ist eine Voraussetzung, dass ich mir den Raum erkaufe. Der größte Teil der Künstlerschaft ist dazu nicht in der Lage.“

Erinnerungen an gemeinsame Exkursionen zu den musikalischen Hotspots in Detroit und Baltimore, und Konferenz-WGs wie zur ESA Konferenz „Sociology of the Arts“ 2018 in Malta, als sich unser gesamter Lehrstuhl ein Haus in Valletta teilte. Erinnerungen an eine Freundin, die als Musikerin, Aktivistin und im Umgang mit ihrem geliebten Thema kritischen Urbanismus nur so vor originellen Ideen sprudelte. Und Erinnerungen an einen Menschen, der in der Lage war, das Beste aus Wissenschaft, Kunstschaffen und Aktivismus miteinander zu verbinden. Patex war dabei nicht nur eine wahre Künstlerin und Intellektuelle – sie war auch ein besonderer Mensch.

 

Für alle Mitarbeiter der Professur
Soziologie der Künste

Volker Kirchberg
Robin Kuchar
Constantin Alexander

 

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Patricia Wedler