„Die Arbeitsverbote im kulturellen Bereich sorgten im Winter 2020/21 bei vielen Clubbetreiber*innen zu einer Art mentaler Insolvenz, die schlimmer wahrgenommen wurde als die wirtschaftliche Notlage“, sagt Kuchar. ©Robin Kuchar
„Die Arbeitsverbote im kulturellen Bereich sorgten im Winter 2020/21 bei vielen Clubbetreiber*innen zu einer Art mentaler Insolvenz, die schlimmer wahrgenommen wurde als die wirtschaftliche Notlage“, sagt Kuchar.

„Clubs spielen eine wichtige Rolle für den symbolischen und kulturellen Wert von Stadträumen“, sagt der Kulturwissenschaftler Robin Kuchar. Clubs und Konzerthallen sind mittlerweile bedeutende Orte der kulturellen Infrastruktur von Städten geworden, wie etwa am Berghain in Berlin oder dem ehemaligen Star-Club in Hamburg, bekannt für Auftritte der Beatles, deutlich wird. Dabei haben sie vor allem sogenannte ‚sekundäre ökonomische Effekte‘: Die Club- und Konzertkultur einer Stadt beeinflusst die Tourismusbranche, trägt aber vor allem zur lokalen Kultur und zum (pop-)kulturellen Erbe einer Stadt bei. Mit der rasanten Ausbreitung der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 mussten Clubs und Spielstätten ausnahmslos schließen. Kuchar, der bereits intensiv zur Entwicklung von Clubräumen und lokalen Szenen geforscht hat, entschied sich, den Einfluss der Corona Pandemie auf die Club- und Konzertkultur im Rahmen eines Projektseminars im Major Kulturwissenschaften zu untersuchen. In verschiedenen Teilprojekten erhoben die Studierenden gemeinsam mit Kuchar qualitative sowie quantitative Daten durch Interviews, Umfragen und ethnografische Feldforschung. „Die Studierenden konnten somit anhand eines aktuellen Falls methodische Grundlagen der Forschung direkt umsetzen“, erklärt Kuchar.

Interviews mit Clubbetreibenden zeigten, dass es unterschiedliche Ansätze gab, mit der Pandemie und Schließung der Clubs umzugehen. Viele Clubbetreibende starteten digitale Streamingformate. Eine alternative Einnahmequelle war das jedoch nicht: „Viele  Akteur*innen etablierten schlicht und ergreifend deshalb Streamingformate, um  noch das machen zu können, wofür man lebt. Nämlich Kultur zu schaffen.“ Vor allem im Verlauf des zweiten Lockdowns im Winter 2020/21 wurden unter den Akteuren vermehrt psychische Belastungen festgestellt. „Die Arbeitsverbote im kulturellen Bereich sorgten im Winter 2020/21 bei vielen Clubbetreiber*innen zu einer Art mentaler Insolvenz, die schlimmer wahrgenommen wurde als die wirtschaftliche Notlage“, sagt Kuchar. Trotz Überbrückungshilfen der Bundesregierung bauten Clubbetreibende Schulden auf und mussten von ihren Ersparnissen leben. „Wir haben von einigen die Rückmeldung bekommen, dass sie sämtliche private Rücklagen und Altersvorsorgen aufgebraucht haben. Ohne Hilfsgelder und öffentliche Rettungsschirme wäre ein Großteil der Club- und Spielstätten  wohl nicht über die Pandemie gekommen“, erläutert Kuchar. Die Studie ergab zudem, dass die Pandemie seitens des Publikums und für lokale Musikszenen zu deutlichen Verlustwahrnehmungen geführt hat. „Die physischen Treffpunkte für Szenen sind plötzlich weggebrochen. Liveness, Raumgefühl und der unmittelbare soziale Austausch können auf digitalem Weg nicht ausgeglichen werden. Die ‚gefühlte‘ Intimität mit den auftretenden Künstler*innen, die Körperlichkeit der Musik sowie das kollektive Erleben lassen sich zu Hause nicht eins zu eins nachstellen.“

Für Kuchar hat sich das Lehrmodell ‚Forschendes Lernen‘ ausgezahlt: „Projektseminare bieten eine sehr gute Möglichkeit, dass Studierende sich interessensgeleitet an eigenen empirischen Projekten ausprobieren können.“ So lernen Studierende gemeinsam, eine Basis für eigene Projekte zu erarbeiten, methodische Grundlagen anzuwenden und empirische Daten zu erheben.

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  • Dr. Robin Kuchar