Kirche und Missbrauch – ein mühsamer Prozess (Bernhard Hohlbein)

Vortrag beim Universitätsgesellschaftlichen Dienstag

23.01.2025 Im Rahmen des Universitätsgesellschaftlichen Dienstags hielt Prof. Dr. Bernhard Hohlbein (Leuphana Law School) im Museum Lüneburg einen Vortrag zum Thema: „Kirche und Missbrauch – Gott sei’s geklagt!“. In seinem Vortrag beleuchtete Hohlbein die juristische Aufarbeitung von kirchlichem Missbrauch in Deutschland.

©Leuphana/Jannis Muser
Obwohl sich katholische und evangelische Kleriker gleichermaßen problematisch verhalten hätten, wies der Referent besonders auf die katholische Kirche hin, denn dazu ist Rechtsgeschichte geschrieben worden: Erstmals ist ein deutsches Erzbistum – und nicht der handelnde Täter – zu einer sechsstelligen Schmerzensgeldzahlung verurteilt worden.

Die mühsame Aufarbeitung der Kirche 

Hohlbein zeigte zunächst die bisherige Aufarbeitung der katholischen Kirche der letzten rund 15 Jahre mit einem Fokus auf Deutschland auf – angefangen von den Aufdeckungen am Berliner Canisius-Kolleg im Jahr 2010, über diverse Bischofskonferenzen, päpstliche Stellungnahmen, die MHG-Studie bis hin zur unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen. Der lange und mühsame Weg mache deutlich: „Kirche tut sich schwer mit der eigenen Aufarbeitung von innen heraus.“ 

Ein aufsehenerregender Fall, in dem erstmals ein Erzbistum zu einer hohen Schmerzensgeldzahlung verurteilt wurde, war Ausgangspunkt für die juristische Diskussion: Dieses Urteil sei wegweisend, da es die Haftung der Kirche als eigenständige Rechtsperson unterstreiche. Der Referent konzentrierte sich auf Schmerzensgeldansprüche von Opfern gegen ein Erzbistum. Hohlbein erläuterte die rechtlichen Grundlagen und zeigte, dass Ansprüche durchaus auf die Institution Kirche übertragbar seien, da sie den Tätern ihr Amt anvertraut habe. 

Freiwillige Zahlungen waren bisher unzureichend

Genau dieses hatte das LG Köln in seinem vielbeachteten Urteil so gesehen. Der zum Urteilszeitpunkt 65-jährige Kläger ist als Jugendlicher über einen Zeitraum von 10 Jahren über 320-mal von einem Priester gequält und missbraucht worden. Der Täter gestand die Taten, bevor er verstarb. Die Kirche hatte als Entschädigung 5.000 € und zehn Jahre später weitere 20.000 € gezahlt. Völlig unangemessen sei dies, so Hohlbein. Das Gericht sprach dem Kläger 300.000 € zu. 

Der Referent bewertete die Summe im Verhältnis zu anderen Schmerzensgeldzahlungen als viel zu niedrig. Zudem kritisierte er Überlegungen der Kirche, sich im Prozess auf Verjährung zu berufen. Dies wurde letztlich zwar nicht getan, aber allein die Verjährungsüberlegungen seien für eine Institution, die sich höchsten moralischen Werten verschrieben hat, befremdlich: „Gott sei Dank hat die Kirche dies nicht getan – es wäre sonst eine Form moralischer Bankrotterklärung gewesen.“ 

Juristische und moralische Fragen bleiben

Auf den ersten Blick scheint die zugesprochene Schmerzensgeldsumme substanziell, doch bei genauerer Betrachtung falle sie, führte Hohlbein aus, immer noch deutlich zu gering aus. Insbesondere, wenn man sie mit Schmerzensgeldurteilen nach Verkehrsunfällen oder Arzthaftpflichtfällen vergleichen würde. Zumal bei Unfällen in aller Regel nur Fahrlässigkeit anzunehmen ist, in Missbrauchsfällen aber Vorsatz vorliege. Auch verwies der Referent auf Fälle der Verletzung von Persönlichkeitsrechten, bei denen schon für vergleichsweise harmlose Verletzungen hohe sechsstellige Summen zugesprochen würden. Wenngleich rechtsmethodisch bei einem Missbrauch nicht von einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts gesprochen werden könne, so könnte aber doch eine entsprechende Anwendung der Entschädigungs-Summen in Betracht kommen. 

Prozessual sei überdies die Beweisführung für Kläger*innen ein Dilemma: Nach vielen Jahren hätten sie schlichtweg kaum Zugang zu (vollständigen) Akten. Bei hinreichender Plausibilität der Klage sollte daher eine Beweislastumkehr greifen. 

Rechtspolitisch forderte Hohlbein, die Staatsanwaltschaften, die als Anklagebehörden letztlich weisungsabhängig vom Justizminister*innen sind, zu ermutigen, mögliche Straftaten von Bischöfen ernsthaft zu prüfen. Denn schon die Versetzung eines verdächtigten Priesters in eine andere Gemeinde könne aktive und vorsätzliche Verursachung der neuen Missbrauchstaten und damit Beihilfe zum Kindesmissbrauch sein. 

Schließlich betonte der Referent, dass sich Bischöfe stärker ihrer Managementaufgaben widmen sollten – ganz offensichtlich gebe es hier Defizite. Bedauernde Worte reichten nun mal nicht mehr aus, so Hohlbein. Um Gerechtigkeit für Betroffene zu erreichen, bedarf es neben erhöhter gesellschaftlicher Aufmerksamkeit, der juristischen Aufarbeitung und Verfolgung der Täter sowie klarer Signale der Kirche für eine tiefgreifende Veränderung im Umgang mit solchen Verbrechen. Nur so könne beschädigtes und verloren gegangenes Vertrauen langfristig zurückgewonnen werden. 

Der Gastautor, Mathias Paulokat, ist selbst Diplom-Wirtschaftsjurist (FH) und Lüneburger Alumnus. Der ehemalige Wirtschaftsjournalist und jetzige Unternehmenssprecher im Bankgewerbe folgt den Themen der Law School und Universitätsgesellschaft seit vielen Jahren.