Rechtskommunikation in Zeiten der Polarisierung
Perspektiven aus Justiz, Ministerium und Presse
24.11.2025 Wie kommuniziert das Recht in einer zunehmend polarisierten Öffentlichkeit? Diese Leitfrage stand im Zentrum der Auftaktveranstaltung der Lüneburger Rechtsgespräche im Wintersemester 2025/2026. Auf dem Podium diskutierten Cosima Haselmann (Richterin und Pressesprecherin des VG Lüneburg), Eike Hosemann (Leiter des Pressereferats im BMJV) und Markus Sehl (stellvertretender Chefredakteur von LTO).
Rechtskommunikation als Übersetzungsleistung
In seiner Einführung betonte Prof. Dr. Stefan Klingbeil, dass das Recht seine eigene Sprache spreche. Sie sei präzise, technisch, hochgradig formalisiert – und für viele Menschen schlicht unverständlich. Die zentrale Aufgabe moderner Rechtskommunikation bestehe daher darin, juristische Inhalte in andere gesellschaftliche Systeme zu übersetzen, was eine erhebliche Komplexitätsreduktion notwendig mache. Als weitere Herausforderung betrachtete Klingbeil die fundamentale Änderung der Kommunikationsbedingungen in der heutigen Zeit: Die Logik vieler Kommunikationsräume sei nicht mehr die der differenzierten Abwägung, sondern die der Polarisierung. Juristinnen und Juristen stünden damit vor der schwierigen Aufgabe, ihre oftmals komplexen und vielschichtigen Entscheidungen in ein Umfeld übersetzen zu müssen, das strukturell auf Plakativität, Emotion und Geschwindigkeit ausgerichtet sei.
Perspektive des Ministeriums
Anschließend schilderte Dr. Eike Hosemann die tägliche Praxis der Pressearbeit im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV). Eine große Herausforderung ministerialer Pressearbeit liege darin, sprachlich komplexe Zulieferungen der Fachreferate des Ministeriums innerhalb der engen Fristen großer Medienhäuser in verständliche, zugleich rechtlich korrekte und polit-strategisch sinnvolle Botschaften zu übertragen. Besonders bedeutsam sei dies bei kontroversen Gesetzesvorhaben, die heute gerade auch in sozialen Medien zum Gegenstand massiver Kritik und Auseinandersetzungen werden könnten. Als Beispiele aus der letzten Wahlperiode benannte er in diesem Zusammenhang das Selbstbestimmungsgesetz und die Anpassung der Strafvorschrift über den Besitz von Kinderpornographie. Hier habe man besonders deutlich gesehen, wie schnell sich bestimmte Narrative in sozialen Netzwerken verselbständigen können. Nicht immer sei es gelungen, Fehlvorstellungen über diese Vorhaben mit den Mitteln der ministerialen Kommunikation auszuräumen.
Perspektive der Justiz
Dr. Cosima Haselmann berichtete aus der Praxis des Lüneburger Verwaltungsgerichts. Als Richterin und Pressesprecherin erlebe sie immer wieder, wie einzelne Entscheidungen durch bestimmte Schlagzeilen eine unerwartete Eigendynamik entwickelten – besonders dann, wenn sie in größere gesellschaftliche Debatten etwa über Gleichstellung oder Diskriminierung eingebettet seien. Mit begrenzten Ressourcen gelte es, komplexe Beschlüsse knapp, verständlich und zugleich mit juristischer Genauigkeit zu erläutern. Professionelle Medientrainings würden daher zunehmend unverzichtbar, um Gerichtsurteile in einer kritischen Öffentlichkeit souverän und ohne Zuspitzungen vermitteln zu können.
Perspektive der Presse
Dr. Markus Sehl gab Einblicke in die redaktionelle Arbeit eines digitalen Rechtsmagazins. Legal Tribune Online (LTO) bewege sich bewusst an der Schnittstelle zwischen Fachöffentlichkeit und breiter interessierter Öffentlichkeit. Die Redakteurinnen und Redakteure seien dabei immer häufiger mit emotionalen Reaktionen konfrontiert – insbesondere bei hochkontroversen Themen wie Klimaprotesten, geschlechterpolitischen Fragen oder Strafrechtsverschärfungen. Zugleich zeigten die Erfahrungen aus der Redaktion, dass ein sachlicher Dialog wirke: Viele Leserinnen und Leser reagierten überrascht, wenn auf ihre E-Mails persönlich geantwortet werde. Oft lasse sich die Tonlage auf diesem Weg deutlich entschärfen, weil ein echter Austausch von Argumenten möglich werde. Sehl betonte zudem, dass Medien zunehmend vor der Herausforderung stünden, in einem Umfeld agieren zu müssen, in dem wirkmächtige populistische Akteure, Social-Media-Kanäle und alternative Nachrichtenplattformen eigene Agenden jenseits sachlicher Informationsvermittlung verfolgten.
Fazit: Rechtskommunikation als Legitimationsaufgabe
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass Rechtskommunikation heute weit über klassische Pressemitteilungen hinausreicht. Sie umfasst Social-Media-Formate, Auftritte in der Bundespressekonferenz, lokaljournalistische Berichterstattung sowie Podcasts und Erklärstücke in Online-Medien. Damit das Recht unter Bedingungen wachsender Polarisierung seine Akzeptanz und Legitimation behält, braucht es Juristinnen und Juristen, die nicht nur die Binnenlogik des Rechtssystems beherrschen, sondern auch bereit sind, ihre Entscheidungen in der Öffentlichkeit verständlich, transparent und dialogorientiert zu vermitteln.
Ausblick
Das nächste Lüneburger Rechtsgespräch findet am 16. Dezember 2025 um 18 Uhr statt. Prof. Dr. Michaela Hailbronner, LL.M. (Yale) von der Universität Münster spricht über „Kompetenzerweiterung bei Staatsversagen“. Nähere Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier.
Kontakt
- Prof. Dr. Stefan Klingbeil, LL.M. (Yale)








