Soziale Medien und Online-Kommunikation: Digitale Zivilcourage erwünscht

10.03.2025

50 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind schon einmal Opfer von Cybermobbing geworden; Pädophile suchen im Netz nach jungen Opfern und von Hate Speech sind gerade Minderheiten betroffen. In ihrem neuen Buch „Cybermobbing, Hatespeech, Sexting und Cybergrooming“ klärt Prof. Dr. Maria von Salisch über die Gefahren der Online-Kommunikation für die seelische und körperliche Gesundheit auf. Einem Verbot steht die Psychologin dennoch kritisch gegenüber.

©Leuphana/Marvin Sokolis
"Über 50 Prozent der Jugendlichen an Sekundarschulen haben schon Cybermobbing erlebt", erklärt Dr. Maria von Salisch.

Frau Professorin von Salisch, was meint der Begriff Cybermobbing?

Maria von Salisch: Cybermobbing meint die wiederholte, absichtliche Schädigung einer Person im Internet. Sichtbarkeit, Anonymität und Persistenz wirken wie ein Turbo. Das Netz vergisst nichts. Die Anonymität enthemmt: Menschen schreiben im Internet Beleidigungen, die sie sich sonst nicht trauen würden. Sie wissen, dass es schwer ist belangt zu werden. Anders als auf dem Schulhof, wo Lehrkräfte dazwischen gehen könnten. 

Wie unterscheidet sich Hate Speech von Cybermobbing?

Hate Speech umfasst abwertende Äußerungen auf der Grundlage von zugewiesenen Gruppenmerkmalen wie Religion, Hautfarbe oder sexueller Orientierung. Hassreden sind also weniger persönlich als Cybermobbing.

Außerdem beschäftigen Sie sich in Ihrem Buch mit Sexting. Was ist damit gemeint?

Sexting beschreibt den Versand von intimen Bildmaterial wie Nacktbildern. Wenn die Jugendlichen Bilder von sich selbst aufgenommen und verschickt haben, ist das kein Problem, sondern Teil der Selbsterkundung als junger Mensch- solange es unter den Beteiligten bleibt und einvernehmlich ist. Wird das Material aber aus Rache oder Geltungssucht etwa im Klassenchat verbreitet, diffamiert das die abgebildete Person. Betroffen sind oft Mädchen, die sich dann noch rechtfertigen müssen: Warum hast du diesem Jungen überhaupt vertraut? Der Reputationsverlust ist enorm. Die zarte Seite einer Persönlichkeit wird ertappt, gerade wenn sie entsteht. Außerdem machen sich alle strafbar, die diese Fotos oder Videos weiterleiten. Viele Jugendliche wissen das nicht. 

Was ist Cybergrooming?

Cybergrooming betreiben zu 95 Prozent männliche Erwachsene. Sie erschleichen sich das Vertrauen von Kindern etwa mit einem Fake-Profil. Ziel vieler Pädophilen ist ein persönliches Treffen mit dem Kind, um es zu missbrauchen. Gerade sozial ängstliche Kinder mit einem kleinen Freundeskreis sind gefährdet. Sie suchen im Internet neue Freunde und ahnen nicht, dass der angeblich Neunjährige eigentlich 35 Jahre alt ist. 

Was sind die seelischen Folgen von Online-Angriffen?

Grundsätzlich können Online-Angriffe genauso verletzten wie persönliche Attacken auf dem Schulhof. Depressionen, posttraumatische Belastungsstörungen, Selbstverletzung bis zu Suizidgedanken können die Folge sein. Sexting oder Cybermobbing können außerdem zum Schulschwänzen führen. Warum noch hingehen, wenn ich in der Klasse ohnehin nur fertiggemacht werde? Über 50 Prozent der Jugendlichen an Sekundarschulen haben schon Cybermobbing erlebt. Hate Speech mag weniger persönlich sein, aber Kinder und Jugendliche erleben Hassreden als Normverschiebung, weil sie in den seltensten Fällen bestraft werden. 

Wie können Kinder sich schützen oder beschützt werden?

Die heutigen Eltern sind selbst bereits mit dem Internet aufgewachsen und kennen deshalb viele Gefahren. Sie sollten sich gemeinsam mit dem Kind oder dem Jugendlichen Inhalte im Netz anschauen: „Ein lustiges Tiktok-Video? Zeig doch mal!“ Gerade jüngere Kinder müssen gewarnt werden, nichts Persönliches im Internet zu teilen, wie etwa den Namen ihrer Schule, ihres Heimatortes oder des Sportvereins. Kinder und Jugendliche müssen lernen, ihre Privatsphäre zu schützen.

Was können andere Kinder und Jugendliche tun?

Die so genannten Bystander spielen eine bedeutende Rolle. Sie können Betroffenen helfen, indem sie auf dem Schulhof oder im Netz Zivilcourage zeigen und dazwischen gehen, Lehrkräften davon berichten oder als Gesprächspartner die Betroffenen unterstützen. Entscheidend ist, dass Kinder und Jugendliche eine Situation als übergriffig und verletzend erkennen und wissen, was sie tun können. Hier kann die Schule eine wichtige Rolle spielen. Eine Studentin von mir hat angehende Lehrkräfte und Sozialpädagog*innen befragt: Sie wussten bereits einiges über Cybergrooming, aber sie wünschten sich weitere Fortbildungen.

Ende vergangenen Jahres wurde in Australien beschlossen, dass Jugendliche unter 16 Jahren Soziale Medien in Zukunft nicht mehr nutzen dürfen. Was halten Sie von einem solchen Verbot?

Ich halte es weder für durchsetzbar noch für sinnvoll. Soziale Medien gehören zu unserer Lebensrealität. Kinder und Jugendliche müssen lernen, wie sie sich gegenüber den Interaktionsrisiken verhalten können. Für Profile in sozialen Medien plädiere ich für rechtlich bindende technische Lösungen wie verpflichtende Altersangaben, ähnlich dem Zigarettenkauf am Automaten, weil dies Fake Profile aushebelt. Upload-Filter und Warnhinweise vor dem Hochladen problematischer Inhalte können impulsives Verhalten verhindern. Natürlich können solchen Sperren durchbrochen werden, aber eine Hürde ist da. 

Und wir brauchen strengere Gesetze. Mobbing ist in Deutschland kein Straftatbestand; in Österreich dagegen schon. 

Vielen Dank für das Gespräch!

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  • Prof. Dr. Maria von Salisch