Andreas Bernard, geboren 1969 in München, ist Professor für Kulturwissenschaften an der Leuphana-Universität Lüneburg. Er studierte Literatur- und Kulturwissenschaften in München und war wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten von Weimar und Konstanz. 2012 war er Fellow am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung in Berlin, 2015 Fellow am Max Planck Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, 2019 Fellow an der New York University. 

Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit ist er als Journalist tätig. Von 1995 bis 2014 war er Autor und Redakteur der Süddeutschen Zeitung, von 2014 bis 2018 Autor bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, seit 2018 Autor bei der ZEIT.

 

Forschungsprojekt - Stabile Daten, immune Körper: Eine Medien- und Wissensgeschichte der Bekämpfung epidemischer Krankheiten

Die politischen und medizinischen Bemühungen, die Ausbreitung der Corona-Pandemie einzudämmen, sind in den letzten eineinhalb Jahren vorwiegend zwei Strategien gefolgt: zum einen dem Versuch, die Ausbreitungswege der Infektionen durch Technologien der Daten- und Menschenerfassung möglichst genau zu rekonstruieren, zu steuern und vorauszuberechnen, zum anderen in der aufwändigen, global vernetzten Erforschung von spezifischen Impfstoffen und Immunisierungsprozessen. In der neueren Geschichte der Bekämpfung epidemischer Krankheiten, zumindest seit den ersten Experimenten zur Pocken-Impfung („Inokulation“) im frühen 18. Jahrhundert, lässt sich die Kombination von erfassungstechnischen und medizinisch-immunologischen Maßnahmen immer wieder beobachten. Diese Kopplung ist gerade aus medien- und wissensgeschichtlicher Perspektive besonders interessant. Denn sie legt eine doppelte kommunikationstechnische Perspektive auf den Umgang mit Epidemien nahe: Der Vorgang der „Infektion“ lässt sich als Kommunikation zwischen Menschen beschreiben, der Akt der „Impfung“ und der erhoffte Prozess der „Immunisierung“ als Unterbrechung dieser Kommunikation. Die Geschichte der Bekämpfung epidemischer Krankheiten umfasst also Handlungen, die den Kontakt zwischen Körpern erfassen und simulieren (von frühen statistischen und demographischen Verfahren bis zu den gegenwärtigen „Tracking-Apps“), und Handlungen, die den Kontakt zwischen Körpern unterbrechen sollen (Quarantäne, Impfung, Immunisierung).  Das Forschungsprojekt möchte eine Geschichte der Bekämpfung epidemischer Krankheiten daher gerade als Verbindung dieser beiden Reaktionsformen schreiben.  Sein zentrales Erkenntnisinteresse wird von der Beobachtung geleitet, dass die europäischen Pocken-Epidemien seit dem frühen 18. Jahrhundert sowie die Cholera-, Gelbfieber-, Typhus-, Diphterie- oder Polio-Epidemien seit dem 19. Jahrhundert sowohl als Katalysatoren des demographisch-bevölkerungspolitischen als auch des medizinisch-immunologischen Wissens gewirkt haben. Der Prozess der Eindämmung von Seuchen betrifft den Schutz der Körper und die Organisation der Daten.