Prof. Dr. Peter Geimer

Peter Geimer ist Professor für Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin, von 2012 - 2020 war er dort Ko-Sprecher der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe "BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik". Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehörten die Geschichte und Theorie der Fotografie, die Historiographie des Bildes sowie Wissenschaftsgeschichte. Letzte Buchveröffentlichungen: Fliegen. Ein Porträt, Berlin: Matthes & Seitz 2019, Inadvertant Images. A History of Photographic Apparitions, Chicago: University of Chicago Press 2018, Derrida ist nicht zu Hause. Begegnungen mit Abwesenden. Mit einem Nachwort von Marcel Beyer, Hamburg: Philo Fine Arts 2013. 

Forschungsprojekt – Die simulierte Zeit. Zur Kritik digitaler Reanimation von Geschichte

Die Vergangenheit ist unbeobachtbar. Man hat von ihr gehört oder gelesen, erinnert sich an sie oder sieht Bilder und Modelle, die Historisches vergegenwärtigen sollen. Alle diese Formen der Rekonstruktion stellen das Vergangene jedoch nicht wieder her: das Wissen über historische Ereignisse ist nachträglich und beruht auf Verfahren der Rekonstruktion. Diese Funktion übernehmen Schriftquellen, aber auch visuelle Artefakte: bis zum neunzehnten Jahrhundert vor allem Graphik und Malerei, im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert Fotografie und Film, in jüngster Zeit – hier setzt das Projekt an –zunehmend auch digitale Verfahren der Visualisierung. Diese Verfahren zielen zum einen auf digitale Nachbearbeitung historisch überlieferter Bilddokumente (etwa das digitale Nachkolorierung analoger Schwarz-Weiß-Aufnahmen), zum anderen die komplette Simulation historischer Ereignisse, die keine sichtbare Spur hinterlassen haben. Anhand konkreter Fallstudien fragt das Projekt nach den Potentialen dieser Art von Rekonstruktion, versteht sich aber auch als historiographische Kritik des damit verbundenen Ideals von Vergegenwärtigung, und Einfühlung, Nach-‚Erleben‘ und Reanimation von Geschichte. Wie entsteht hier so etwas wie bildliche Evidenz des Historischen? Welches neue Verständnis dessen, was als ‚historisches Dokument‘ zu gelten hat, zeichnet sich hier ab? Wie lässt sich dem ‚Vetorecht‘ und der Widerständigkeit der Quellen’ Rechnung tragen, zugleich aber auch dem Potenzial und der Unvermeidbarkeit von Fiktion, Illusion und Einbildungskraft? Das Ergebnis dieser Überlegungen soll als fünftes Kapitel einer Monographie zur visuellen Darstellbarkeit von Geschichte erscheinen, die 2022 unter dem Titel „Die aufbewahrte Zeit“ im C.H. Beck-Verlag erscheinen wird.