Windkanäle. Wissen, Politik und Ästhetik bewegter Luft

MECS | ZHdK // Workshop //  07.–08. November 2019

 

Eine Kooperation der Kollegforschungsgruppe Medienkulturen der Computersimulation (MECS) und des Forschungsschwerpunkts Transdisziplinarität (fsp-t) der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK)

Windkanäle gehören zu den technischen Möglichkeitsbedingungen der Untersuchung bewegter Luft. Dabei sind sie mehr als nur Medien der Datenverarbeitung und der Datenerzeugung: Im 20. und 21. Jahrhundert haben das in Windkanälen produzierte Wissen, die in Windlaboren geprägten Technologien und Praktiken und schließlich auch die Windkanäle selbst die Mauern wissenschaftlicher Einrichtungen verlassen. Nachdem Étienne-Jules Marey Ende des 19. Jahrhunderts in seinen Rauchkanälen Luftbewegungen sichtbar gemacht hatte und Ludwig Prandtl ab 1908 mit seiner Grenzschichtforschung die Untersuchung von Luftströmen in der Hydro- und Aerodynamik institutionalisierte, wurden und werden in Windkanälen verschiedener Bauart Luftbewegungen um Autos, Flugzeuge, Vögel und Sporttreibende ebenso untersucht wie jene um Modelle von Raketen, Brücken, Türmen, Wolkenkratzern, Bäumen, Parks und Wäldern oder sogar spiegelnde Silberkugeln.

Der Workshop Windkanäle in den Wissenschaften und den Künsten setzt bei diesen vielfältigen Verwendungen an und versammelt plurale Perspektiven auf Windkanäle. Um einer diesem Gemenge nicht gerecht werdenden generalisierenden Geschichte des Windkanals zu entgehen, möchte der Workshop Geschichten einzelner Windkanäle zwischen Ende des 19. Jahrhunderts und heute zusammentragen. Zentrales Anliegen ist es, die Verfasstheit von Windkanälen als epistemische und ästhetische Kippfiguren in Wissenschaften und Künsten zu beleuchten, die sich in Bezeichnungen wie »Analogcomputer« (Meroney) oder »metaphor machine« (Dombois) zeigt.

Ausgangspunkt des Workshops ist die Beobachtung, dass Windkanäle insbesondere Techniken der Simulation und der Visualisierung geprägt haben. So sind Windkanäle als »Simulationsmaschinen« (Hahn) bezeichnet worden, da sie das Simulieren von Umgebungen erlauben und als Werkzeuge zur Erzeugung eines spezifischen Umgebungswissens zum Einsatz kommen. Auch »devices of the called analogy type« (Goldstine/von Neumann) wurden sie genannt. Die Betonung ihrer Eigenschaft als Analogiegeräte akzentuiert sie als Apparaturen zur Operationalisierung von Ähnlichkeiten. Für von Neumann waren Windkanäle schließlich ein wesentlicher Motivator für den Entwurf der grundlegenden Architektur moderner Computer, verbunden mit der Idee, »nicht mit Experimenten zu rechnen, sondern mit Rechnern zu experimentieren« (Gramelsberger). Der visuellen Dimension von Operationen im Windkanal geht eine den Workshop begleitende Ausstellung der künstlerisch-wissenschaftlichen Forschungsgruppe Luftbilder/Lichtbilder (ZHdK) auf den Grund. Im Kunstraum der Leuphana Universität Lüneburg werden historische Strömungsfilme sowie aktuelle Windvisualisierungen aus dem Windkanal der ZHdK präsentiert. Im Rahmen des Workshops und der Ausstellung soll nicht zuletzt einer Leerstelle begegnet werden: Einerseits finden sich in den Wissenschaften und den Künsten Auseinandersetzungen mit den poetischen und mythologischen Dimensionen von Wind ohne Bezug auf Windkanäle, andererseits Studien zu Windkanälen ohne Berücksichtigung breiterer Konnotationen von Wind.

Ausgehend von diesen spezifischen Aspekten der Simulation und der Visualisierung möchte der Workshop ein Forum für weitere Fragen bieten. Um eine Anregung zu geben, seien hier einige erste aufgezählt: Wie prägen die materiellen Charakteristika der Windkanäle das in ihnen produzierte Wissen? Wie wird der erzeugte Wind gemessen, aufgezeichnet und gespeichert? Was bedeutet es, analog zu simulieren? An der Bildung welcher Theorien waren Windkanäle beteiligt? Welche historiografischen Schwierigkeiten wirft der Gegenstand Windkanal auf? Welche Rolle spielen ökonomische und politische Interessen bei der Erforschung von Grenzschichten? Was geschieht, wenn das im Windkanal erzeugte Wissen seine Entstehungsumgebung in Laboren verlässt und gesellschaftliche Teilbereiche prägt – wie etwa in Krieg, Raumfahrt, Architektur oder Stadtplanung? Oder wenn Windkanäle und ihre spezifischen Medien und Techniken Teil künstlerischer Praxis werden? Und letztlich auch die Frage danach, wie das in Windkanälen produzierte Wissen wiederum auf die wissenschaftliche Forschung zurückwirkt?

Donnerstag, 07.11.2019 
Campus Leuphana, Libeskindbau 40.601
10.00 – 10.30 UhrEröffnung 
 
  
10.30 – 12.00 Uhr

Slot 1 

Singende Flammen. Zeitachsenmanipulation zwischen Schrift, Bild und Klang
Christian Kassung (HU Berlin)

Seduced by form or flow? Etienne-Jules Mareys Windkanalexperimente
Janina Wellmann (MECS Lüneburg)

Der Windkanal der TU Dresden 
Jörg Zaun (Zentrale Kustodie TU Dresden)

  
12.00 – 15.00 
Uhr 

Mittagspause 

  
13.30 – 15.00
Uhr

Slot 2

Windkanalversuche im Konstruktiven Ingenieurbau. Brücken und leichte Flächentragewerke
Raimund Mair, Benjamin Schmid (Universität Insbruck)

Windlestick. Baseball im Grenzschichtwindkanal
Hannah Zindel (MECS Lüneburg)

Die Stadt als Windkanal. Zur Genese einer stadtklimatisch informierten Planung in Stuttgart
Sasche Roesler (Accademia di architettura Mendrisio)

  

15.00 – 15.30
Uhr 

Kaffeepause
  
15.30 – 17.15
Uhr

Slot 3

Einführung zur Ausstellung 
Florian Dombois, Christoph Oeschger, Mario Schulze (ZHdK Zürich)

Lesung (Beginn 16 Uhr)
Tom McCarthy mit einer Einleitung von Claus Pias (MECS Lüneburg)

  
17.15 – 18.00
Uhr
Pause
  
ab 18.00 Uhr Ausstellungseröffnung Florian Dombois & Christoph Oeschger: Filme des Windes
Freitag, 08.11.2019
MECS Office, am Sande 5, 21335 Lüneburg
09.45 – 11.15 Uhr

Slot 4

Windkanäle, Überschall-Aerodynamik und Krieg. Das Fallbeispiel der Aerodynamischen Versuchsanstalt Göttingen bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs
Florian Schmaltz (MPI Wissenschaftsgeschichte Berlin)

Messen mit Film. Der AEG-Zeitdehner im Trudelwindkanal der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt Berlin
Sarine Waltenspül (ZHdK Zürich)

John von Neumanns Digitaler Windkanal
Gabriele Gramelsberger (RWTH Aachen)

  
11.15 – 12.30 
Uhr 

Mittagspause 

  
12.30 – 14.00
Uhr

Workshop

Wind als Objekt und als Szene. Ein Panoptikum des plastischen Luftstroms in Kunst und Architektur
Michael Schultes (TU Wien). Markus Hanakam, Roswitha Schuller (Akademie der Bildenden Künste Wien)

  

14.00 – 14.20
Uhr

Kaffeepause
  
14.20 – 15.30
Uhr

Workshop-Kommentar von Daniela Zetti (ETH Zürich) und Abschlussdiskussion

Workshop-Moderation: Katharina Rein (IKKM Weimar)

Veranstaltungsorte
Campus Leuphana, Libeskindbau 40.601
und
CDC | MECS Of­fice, Am Sande 5, 21335 Lüneburg