Anna-Lena Wiechern ist Doktorandin und ehemalige Wissenschaftliche Mitarbeiterin  des DFG-finanzierten Projektes »Medien der Assistenz«. Sie forscht zur Medien-und  Wissenschaftsgeschichte der Haptik, wobei sie in ihrem Dissertationsprojekt  besonders die Rolle und Bedeutung von gehörlosen, blinden und taubblinden  Menschen für die Tastsinnforschung herausarbeitet. Daraus ergibt sich ein  methodischer Zugang, der Medienarchäologie, historische Epistemologie und  Disability History gemeinsam denkt. 

Anna-Lena Wiechern hat einen Bachelor in Kulturwissenschaften mit Schwerpunkt  Medienwissenschaften (Leuphana Universität Lüneburg) und einen Master in Critical  and Cultural Theory (University of Leeds, England). Vor Aufnahme ihrer Promotion  arbeitete sie für zwei Jahre als Referentin für Kultur und Bildung beim Deutschen  Kulturrat. 

 

Forschungsprojekt

Zur haptischen Simulation ›unbegreifbarer‹ Materie

Abstract: Zur haptischen Simulation ›unbegreifbarer‹ Materie Im Rahmen meines Fellowships möchte ich einen zentralen Abschnitt aus der  Geschichte der Entwicklung digitaler haptischer Technologien aufarbeiten, da er, wie  Wolfgang Hagen kürzlich gezeigt hat, unter anderem die Grundlage für das seit 2014 1 in Apple-Produkten generierte haptische Feedback (Taptic Engine) hervorbrachte. Im  Zentrum dieser Aufarbeitung steht das sogenannte »Project GROPE«, an dem  zwischen 1967 und 1990 unter der Leitung von Frederick P. Brooks Jr. am heutigen  Department of Computer Science der University of North Carolina at Chapel Hill geforscht wurde. Brooks, auf dessen Impuls hin das Department ins Leben gerufen 2 wurde, versteht Computer Scientists als »toolsmiths« – als diejenigen Forscher*innen,  die anderen Forscher*innen ihre Werkzeuge zur Verfügung stellen. Ganz in diesem 3 Sinne war es ausgewiesenes Ziel des Project GROPE, ein multisensorisches Soft- und  Hardwaresystem auf den Weg zu bringen, das Biochemiker*innen bei ihrer Arbeit an  Dihydrofolatreduktase-Molekülen (jenen Enzymen, die das Vitamin Folsäure aktivieren)  unterstützt, indem es physikalische Effekte erfahrbar macht, die unterhalb der  menschlichen Wahrnehmungsgrenze liegen. Über eine Computersimulation, die  sowohl ein haptisches, ein akustisches als auch ein visuelles Interface ansteuert, sollte  ermöglicht werden, Verbindungsoptionen zwischen verschiedenen Molekülen und  Dihydrofolatreduktase-Enzymen zu erkunden. Wie bei einer Art 3D-Tetris, galt es das  Enzym mittels Joystick in das jeweilige Molekül einzupassen (Docking) und dadurch  den Bindungsmodus beider Moleküle zu ermitteln. Die Kraftwirkungen zwischen den  einzelnen Atomen, welche auch das Docking zweier Moleküle bestimmen, wurden  dabei als Widerstände über force Feedback spürbar. Das »Project GROPE« gilt damit  als eines der ersten Interface-Systeme, welches gezielt haptisches Feedback zu  Zwecken der Scientific Visualisation einsetzte.4 

In einer wissenschaftshistorisch angelegten Analyse möchte ich nun die  epistemologischen Konsequenzen dieser Simulation von – der Empirie eigentlich nicht  zugänglichen – Tasteindrücken herausarbeiten und damit einen Beitrag zur  medienwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Tastsinn leisten.  

 

Referenzen

Wolfgang Hagen, Neudasein. Essays Zur Sozialen Epistemologie Der Smartphone-Fotografie. Berlin: 1 Kulturverlag Kadmos, 2021, S. 120. 

 Vgl. Frederick P. Brooks Jr., Ming Ouh-Young, James J. Batter, und P. Jerome Kilpatrick, ›Project GROPE- 2 Haptic Displays for Scientific Visualization‹. ACM Computer Graphics 24 (4), 1990, 177–85 <https:// doi.org/10.1145/97880.97899>. 

 Vgl. Frederick P. Brooks Jr., ›The computer scientist as toolsmith—Studies in interactive computer 3 graphics‹, Information Processing 77, Proceedings of IFIP Congress 77, Toronto, 625-634 <https:// www.cs.unc.edu/xcms/wpfiles/toolsmith/The_Computer_Scientist_as_Toolsmith.pdf>. 

 Vgl. Frederick P. Brooks Jr., ›Grasping Reality Through Illusion. Interactive Graphics Serving Science‹. 4 DTIC File, 1988. <https://apps.dtic.mil/sti/citations/ADA201086>, letzter Zugriff am 24. August 2021.