Wiechern - Zur haptischen Simulation ›unbegreifbarer‹ Materie
Anna-Lena Wiechern
Am Sande 5
21335 Lüneburg
awiecher@leuphana.de
Anna-Lena Wiechern ist Doktorandin und ehemalige Wissenschaftliche Mitarbeiterin des DFG-finanzierten Projektes »Medien der Assistenz«. Sie forscht zur Medien-und Wissenschaftsgeschichte der Haptik, wobei sie in ihrem Dissertationsprojekt besonders die Rolle und Bedeutung von gehörlosen, blinden und taubblinden Menschen für die Tastsinnforschung herausarbeitet. Daraus ergibt sich ein methodischer Zugang, der Medienarchäologie, historische Epistemologie und Disability History gemeinsam denkt.
Anna-Lena Wiechern hat einen Bachelor in Kulturwissenschaften mit Schwerpunkt Medienwissenschaften (Leuphana Universität Lüneburg) und einen Master in Critical and Cultural Theory (University of Leeds, England). Vor Aufnahme ihrer Promotion arbeitete sie für zwei Jahre als Referentin für Kultur und Bildung beim Deutschen Kulturrat.
Forschungsprojekt
Zur haptischen Simulation ›unbegreifbarer‹ Materie
Abstract: Zur haptischen Simulation ›unbegreifbarer‹ Materie Im Rahmen meines Fellowships möchte ich einen zentralen Abschnitt aus der Geschichte der Entwicklung digitaler haptischer Technologien aufarbeiten, da er, wie Wolfgang Hagen kürzlich gezeigt hat, unter anderem die Grundlage für das seit 2014 1 in Apple-Produkten generierte haptische Feedback (Taptic Engine) hervorbrachte. Im Zentrum dieser Aufarbeitung steht das sogenannte »Project GROPE«, an dem zwischen 1967 und 1990 unter der Leitung von Frederick P. Brooks Jr. am heutigen Department of Computer Science der University of North Carolina at Chapel Hill geforscht wurde. Brooks, auf dessen Impuls hin das Department ins Leben gerufen 2 wurde, versteht Computer Scientists als »toolsmiths« – als diejenigen Forscher*innen, die anderen Forscher*innen ihre Werkzeuge zur Verfügung stellen. Ganz in diesem 3 Sinne war es ausgewiesenes Ziel des Project GROPE, ein multisensorisches Soft- und Hardwaresystem auf den Weg zu bringen, das Biochemiker*innen bei ihrer Arbeit an Dihydrofolatreduktase-Molekülen (jenen Enzymen, die das Vitamin Folsäure aktivieren) unterstützt, indem es physikalische Effekte erfahrbar macht, die unterhalb der menschlichen Wahrnehmungsgrenze liegen. Über eine Computersimulation, die sowohl ein haptisches, ein akustisches als auch ein visuelles Interface ansteuert, sollte ermöglicht werden, Verbindungsoptionen zwischen verschiedenen Molekülen und Dihydrofolatreduktase-Enzymen zu erkunden. Wie bei einer Art 3D-Tetris, galt es das Enzym mittels Joystick in das jeweilige Molekül einzupassen (Docking) und dadurch den Bindungsmodus beider Moleküle zu ermitteln. Die Kraftwirkungen zwischen den einzelnen Atomen, welche auch das Docking zweier Moleküle bestimmen, wurden dabei als Widerstände über force Feedback spürbar. Das »Project GROPE« gilt damit als eines der ersten Interface-Systeme, welches gezielt haptisches Feedback zu Zwecken der Scientific Visualisation einsetzte.4
In einer wissenschaftshistorisch angelegten Analyse möchte ich nun die epistemologischen Konsequenzen dieser Simulation von – der Empirie eigentlich nicht zugänglichen – Tasteindrücken herausarbeiten und damit einen Beitrag zur medienwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Tastsinn leisten.
Referenzen
Wolfgang Hagen, Neudasein. Essays Zur Sozialen Epistemologie Der Smartphone-Fotografie. Berlin: 1 Kulturverlag Kadmos, 2021, S. 120.
Vgl. Frederick P. Brooks Jr., Ming Ouh-Young, James J. Batter, und P. Jerome Kilpatrick, ›Project GROPE- 2 Haptic Displays for Scientific Visualization‹. ACM Computer Graphics 24 (4), 1990, 177–85 <https:// doi.org/10.1145/97880.97899>.
Vgl. Frederick P. Brooks Jr., ›The computer scientist as toolsmith—Studies in interactive computer 3 graphics‹, Information Processing 77, Proceedings of IFIP Congress 77, Toronto, 625-634 <https:// www.cs.unc.edu/xcms/wpfiles/toolsmith/The_Computer_Scientist_as_Toolsmith.pdf>.
Vgl. Frederick P. Brooks Jr., ›Grasping Reality Through Illusion. Interactive Graphics Serving Science‹. 4 DTIC File, 1988. <https://apps.dtic.mil/sti/citations/ADA201086>, letzter Zugriff am 24. August 2021.