Dr. Arianna Borrelli

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Dr. Arianna Borrelli
borrelli@tu-berlin.de 

Arianna Borrelli ist Wissenschaftshistorikerin und -philosophin. Ihre Interessen gelten der  Beziehung zwischen der Entstehung von Wissen und den unterschiedlichen Strategien seines Ausdrucks und seiner Vermittlung. Sie hat sich mit mittelalterlicher mathematischer Kosmologie, mit frühneuzeitlicher Meteorologie und Mechanik, sowie mit Quantentheorien  des 20. und 21. Jhds beschäftigt. In Rom geboren, hat sie erst Physik (Rom) und dann Philosophie (Braunschweig) studiert und in Wissenschaftsgeschichte promoviert. Sie hat sowohl in der Physik (Rom, CERN) als auch in Wissenschaftsgeschichte und -philosophie gearbeitet (Braunschweig, MPI für Wissenschaftsgeschichte). Zurzeit arbeitet sie an der TU Berlin an einem DFG-Projekt zur Geschichte der frühen Teilchenphysik. Letzte Publikationen: »From logos to mythos: 'naturalness' in high-energy-physics«. In: H. Blume, C. Leitgeb (Hrsg.): Narrated Communities - Narrated Realities, 2015, S. 69-83; »Genesis des Gottesteilchen: Narrative der Massenerzeugung in der Teilchenphysik«. In: S. Azzouni, S. Böschen, C. Reinhardt (Hrsg.): Erzählung und Geltung. Wissenschaft zwischen Autorschaft und Autorität, 2015, S. 63-86.

 

FORSCHUNGSPROJEKT

Was ist ein Teilchen? Computersimulationen und theoretische Praktiken der frühen Hochenergiephysik

Verschiedene Methode für die computergestützten Datenanalyse, darunter auch Monte Carlo Simulationen, wurden in der Hochenergiephysik in den 1950ern Jahren eingeführt. Der Historiker Peter Galison (1997) hat ihre Folgen für experimentelle Praktiken untersucht und er zeigte,  wie mit der Zeit Simulationen als äquivalent zu Experimenten betrachtet wurden. Mein Projekt konzentriert sich hingegen auf die Frage, wie diese Techniken theoretische Praktiken veränderten  und insbesondere, wie sie zur Wandlung des Begriffs “Teilchen” beitrugen. Um 1960 wurde eine Gruppe von hochenergetischen Phänomenen, die bereits seit den frühen 1950er Jahren beobachtet und als “Resonanzen” benannt wurden, plötzlich durch die Wissenschaftler als ganz normale “Teilchen” betrachtet.

Dieser Wandel war nicht durch besondere Entdeckungen motiviert, sondern war auf einen Perspektivenwechsel unter Wissenschaftlern zurückzuführen: „Die meisten N* genannten Objekte, die Pion-Nukleon Resonanzen […] waren vor achtzehn Monaten bereits gut bekannt. Die Tatsache, dass sie hier neben langlebigeren Teilchen aufgeführt werden, zeigt eher auf einen Wechsel im Weltbild der Hochenergie-Physiker als auf eine Zunahme experimenteller Erkenntnisse.” (G. R., Lynch, “Experimental data on new resonances” 1962)

In der Tat war das Wort „Teilchen” bis dann nur für jene mikrophysikalischen Entitäten verwendet worden, die lang genug lebten, um Spuren in Detektoren zu überlassen oder einen Zähler zu betätigen. Resonanzen sind zu instabil, um direkt beobachtet zu werden, und sie manifestieren sich nur als Spitzen oder Beulen in einer Grafik, welche die Wahrscheinlichkeit darstellt, dass ein bestimmter Prozess für verschiedene Energiewerte stattfindet. Ab den 1960ern erlaubten computergestützte Datenanalysen das Erstellen einer zunehmenden Anzahl solcher Grafiken, und bald sprach man von Resonanzen als einer Art von Teilchen. Meine Arbeitshypothese ist, dass in der Wissenschaftskultur jener Zeit die neu computergestützten Techniken (Monte Carlo Simulationen, Best-fit Prozeduren, numerische Berechnungen) als eine (neue) Art von Detektoren wahrgenommen wurden, welche ein noch tieferes Eindringen der menschlichen Sinne in die mikrophysikalische Welt erlaubten, um Resonanzen sichtbar zu machen und Letzteren damit zum “Teilchen”-Status zu verhelfen.

Ich werde die historischen Quellen, die für diese epistemische Konstellation relevant sind, näher analysieren, um zu verstehen, welche Computer-Techniken in diesem Wandel verstrickt waren – oder nicht – und wie ihre Rolle durch Physiker diskutiert wurde. Diese Forschung ist Teil von einem DFG-geförderten Projekt mit dem Titel „Das ‚dunkle Zeitalter‘ der Teilchenphysik: Isospin, Strangeness und die Entstehung physikalisch-mathematischer Begriffe in der Zeit vor dem Standardmodell (1950-1965)”.