Dr. Mario Schulze

Dr. Mario Schulze ist Postdoktorand am Forschungsschwerpunkt Transdisziplinarität der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). 2015 bis 2017 war er Postdoktorand und Koordinator der Forschungsgruppe „Mobile Objekte“ am Exzellenzcluster Bild Wissen Gestaltung der Humboldt Universität zu Berlin. 2017 ist seine an der Universität Zürich eingereichte Doktorarbeit unter dem Titel „Wie die Dinge sprechen lernten. Eine Geschichte des Museumsobjektes 1968-2000“ erschienen. Stipendien, Residencies, Praktika und Forschungsaufenthalte führten ihn an das Bard Graduate Center New York (2016/17), die Museumsakademie Joanneum Graz (2014 und 2012), das Deutsche Historisches Institut London (2011), das Zeitgeschichtliches Forum Leipzig (2009), Augusta Raurica Basel (2008) und das Holocaust Center of Northern California (2007). Ausserdem ist Mario Schulze kuratorisch tätig und hat an der Goethe Universität Frankfurt, der HU Berlin, der Universität Zürich und der ZHdK gelehrt.

Forschungsprojekt - Datenfilme. Zur digitalen Reanalyse analoger Strömungsfilme

Anhand eines konkreten Beispiels aus der Strömungsforschung möchte im Rahmen meiner Fellowship am MECS der Frage nachgehen, was die Mathematisierung und Computerisierung wissenschaftlicher Bilder verspricht und antreibt. Seit den 1920er Jahren entwickelte Ludwig Prandtl kinematographische Verfahren zur Strömungserforschung in Wasserkanälen. Im Rahmen eines Forschungsprojekts zum wissenschaftlichen Film an der ZHdK beforsche ich die Geschichte eines der Filme von Prandtl (gemeinsam mit meiner Kollegin Sarine Waltenspül): von den ersten Versuchen seiner Produktion über seinen Einsatz als Evidenz auf den weltweiten Konferenzreisen Prandtls bis zu seiner Verwendung als Lehrfilm im Nationalsozialismus sowie später in den USA im Kontext des Space Race mit den Sowjets (Abb. 1). Am MECS beschäftige ich mich mit den bisher letzten Episoden dieser „Filmbiographie“. 2007 wurde eine digitalisierte Version des Films durch Wissenschaftler des DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) mithilfe von particle image velocimetry (PIV) und dann erneut 2019 unter unserer Mitarbeit mit particle tracking velocimetry (PTV) neu ausgewertet (Abb. 2 & 3).

PIV und PTV sind seit den 1980er Jahren entwickelte und heute standardmäßige algorithmische Verfahren zur Strömungsvisualisierung und Messung der Richtung und Geschwindigkeiten einzelner Partikel in Fluiden. Nebst der numerischen Auswertung werden durch PIV und PTV-Auswertung der Filme die auf dem Filmmaterial ausmachbaren Geschwindigkeitsänderungen farblich hervorgehoben. Die computergestützte Auswertung des analogen Materials liefert ein Palimpsest aus farblich visualisierten quantitativen Daten auf dem schwarz-weißen Grund des analogen Ausgangsfilm. Mit diesem Palimpsest gewannen Willert und Kompenhans mit ihrer Auswertung den Best Movie Award auf dem Flow Visualization Kongress in Daegu, Korea.

Eine instationäre, also zeitabhängige Strömung, wie sie im Wasserkanal analog simuliert und visualisiert wird, zeichnet sich durch ihre Einmaligkeit und Unvorhersehbarkeit aus. Die optische Aufzeichnung verspricht, der Einmaligkeit habhaft zu werden und sie repetierbar zu machen. Die algorithmische Auswertung wiederum verspricht, die Mathematisierung und Berechenbarkeit der Einmaligkeit und damit die Möglichkeit einer computergestützten Simulation des Flows. Die Auswertung von C1 durch Willert und Kompenhans propagiert letztlich die Archivierung historischer Wissenschaftsbilder in der Hoffnung, in Zukunft Daten aus ihnen zu gewinnen. Meine Zeit am MECS möchte ich dazu nutzen, anhand dieser Episode der Neuauswertung eines analogen Wissenschaftsfilm beispielhaft nach den Zusammenhängen von computergestützter Auswertung, Datenvisualisierung und analoger wie digitaler Simulation zu fragen.

Am MECS organisiere ich außerdem zusammen mit Hannah Zindel und Sarine Waltenspül den Workshop „Windkanäle. Wissen, Politik und Ästhetik bewegter Luft“, der am 7. und 8.11. stattfinden wird, und kuratiere die den Workshop begleitende Ausstellung „Filme des Windes“ im Kunstraum der Leuphana.