Ina Bolinski

Sehen Sie sich im Rahmen
unserer Video-Serie MECS
Profiles das Fellow Profile und die Forschungsarbeit von Ina Bolinski an.

Fellow Profile

Ina Bolinski ist wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur und Geschichte der Medienkulturen an der Fernuniversität Hagen sowie am Lehrstuhl für Mediengeschichte und Kommunikationstheorie an der Ruhr-Universität Bochum. Sie studierte Medienwissenschaft und Betriebswirtschaftslehre an der Ruhr-Universität Bochum. 

Ina Bolinski is research assistant at the Chair of „New German Literature and History of MEdiaculture” at the Fernuniversität Hagen and at the Chair of „Mediahistory and Communicationstheory “ of the Ruhr-University Bochum. She holds an M.A. in Media Studies and Business Economics from the Ruhr-University Bochum.

 

 

 

FORSCHUNGSPROJEKT

Get chipped! Zu einer Kulturgeschichte der elektronischen Tierkennzeichnung

Gegenstände und eben auch Tiere können mittels Radio Frequency Identification (RFID) eindeutig gekennzeichnet werden. Das technische Artefakt wird in den Tierkörper hinein verlagert, wo es in Form kleiner Mikrochips, auch Transponder genannt, für die gesamte Lebenszeit des Tieres verbleibt. Mit einem Lesegerät kann der Chip aktiviert werden, der dann über die Luftschnittstelle die in ihm gespeicherte Identifikationsnummer überträgt. Da der Einsatz von RFID-Systemen prinzipiell überall möglich ist, wo automatisch etwas gekennzeichnet, registriert, verwaltet, transportiert oder überwacht werden soll (Rosol), nimmt auch die Verwendung bei Tieren, besonders im Bereich der Nutztierhaltung, stetig zu. 

Mit der Zunahme von Herdengrößen und weitreichenderen Managementaufgaben kann dadurch vielfach zur Vereinfachung von Prozessen beigetragen werden. Wird die RFID Technik der elektronischen Tierkennzeichnung extern mit weiteren Systemen gekoppelt, wie beispielsweise automatischen Fütterungssystemen, Melkanlagen oder Wiege-, Verlade- und Sortiereinrichtungen (Umstätter/Kaufmann 2002), werden auch hier Abläufe ohne menschliche Arbeitsleistung gesteuert. Eine neue Perspektive bietet sich, wenn Zusatzfunktionen in die Technik der elektronischen Tierkennzeichnung integriert werden.

Dabei handelt es sich oftmals um Sensoren und andere Messsysteme, mit denen die Körpertemperatur, der Herzschlag und die -frequenz, verschiedene pH-Werte und Hormonprofile in vorgegebenen zeitlichen Perioden ermittelt werden können (Georg u.a. 2009). Diese Werte, sowie auch Aktivitätsmuster über Standortanalysen und Stresslevel, die aus den erhobenen Daten abgeleitet werden, geben Aufschluss über den Zustand eines tierischen Organismus und erleichtern das Gesundheitsmonitoring. Je nach gewählten Funktionen, ergeben sich verschiedene mediale Anordnungen in Bezug auf Komplexität, Technisierung und Implementierung der Komponenten. Die Herdenbewirtschaftung bringt wachsende Logistikherausforderungen mit sich, da tendenziell die verschiedenen Produktionsprozesse (from farm to fork) räumlich immer weiter divergieren.

So wird im Rahmen des „Ubiquitous Computing“ und einer Vision Mark Weisers in den 1990er Jahren davon ausgegangen, dass Personal Computer und Techniken zur Datenverarbeitung überall integriert sind und sich gleichzeitig für den Menschen immer weiter aus dem Wahrnehmungsbereich entziehen aufgrund von Minimierungstendenzen in der Technikentwicklung (vgl. Heesen; Weiser). Somit wäre kein Gegenstand nur noch ein Gegenstand per se, sondern immer eine hybride Einheit mit einem technischen System, die im „Internet der Dinge“ gipfeln soll.

Die zunehmende Technisierung und das Eindringen eben dieser in die biologischen Körper lassen vormals scharfe Grenzen fast gänzlich verschwimmen, so dass nicht mehr eindeutig und intuitiv bestimmt werden kann, was der Natur, was der Kultur und was der Technik zuzuordnen ist. So ist bei der elektronischen Tierkennzeichnung der injizierte Transponder nicht mehr einfach nur ein Objekt. Dem technischen Artefakt und auch dem „natürlichen“ Tier kommt ein neuer Status zu, der damit auch neue Beschreibungen notwendig macht. Da diese Techniken nicht ohne ein forschendes und soziales Umfeld entstehen, sind Begriffe wie „epistemische Dinge“ (Rheinberger), „Grenzobjekte“ (Star/Griesemer), „Quasi- Objekte“ (Latour) oder „Biofakte“ (Karafyllis) lohnend, da sie Möglichkeiten bieten, mit neuen hybriden Formen in ihrem gesellschaftlichen Entstehen und den damit verbundenen Diskursivierungen umzugehen. Die verschiedenen Objekt- und Dingbeschreibungen wirken sich auf die aktuellen Verortungen der Technikgefüge aus, da die bestehenden Vorstellungen von Ordnung, Komplexität und Konnektivität zunehmend in Frage gestellt werden (Hörl).

Es soll der Arbeitshypothese nachgegangen werden, dass es mit dem Einsetzen des Transponders in den tierischen Körper zu einer Einflussnahme auf „das Natürliche“ kommt, da die technische und die biologische Komponente zusammen eine neue hybride Einheit bilden. Zu fragen ist daher, wie und mit welchen Beschreibungen die neuen Formen reflektiert werden und welche Veränderungen in der Folge vermutet werden können. Angenommen wird, dass die Einflussnahme auch in einer Verhaltensänderung sichtbar wird oder durch die Messung bestimmter Parameter über Zusatzfunktionen, die über die reine Identifizierung hinausgehen, erfasst werden kann. Fragen nach der Überwachung, Kontrolle und Optimierung des Tieres aufgrund des Technikeinsatzes gilt es für die elektronische Tierkennzeichnung zu beantworten.

Liegt der Fokus nicht nur auf der Betrachtung von einzelnen Tieren als Individuen, sondern wird auch ihr soziales Herdengefüge in den Blick genommen, ergeben sich in der Folge Fragestellungen nach deren Verhalten untereinander und den Modifikationen im Dreieck zwischen Mensch, Tier und Technik. Auch veränderte zeitliche und räumliche Anordnungen der Tiere durch die zunehmende Technisierung innerhalb der Nutztierhaltung machen neue Verortungen in der Herde notwendig. Sowohl Technik als auch Körperlichkeit müssen miteinander in Beziehung gesetzt, zusammengeführt, systematisiert sowie reflektiert und diskursiv neu verhandelt werden.