Prof. Dr. Christian Kassung

Christian Kassung ist seit 2006 Professor für Kulturtechniken und Wissensgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Studium der Germanistik und Physik in Aachen und Köln. Promotion 1999 an der Universität zu Köln mit einer Dissertation zum Thema „EntropieGeschichten. Robert Musils ‚Der Mann ohne Eigenschaften‘ im Diskurs der modernen Physik“. 2007 Habilitation mit einer Arbeit zur Wissensgeschichte des Pendels. Er ist Vizedirektor des „Hermann von Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik“ und Vorstandsmitglied sowie Principal Investigator am Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung. Ein interdisziplinäres Labor“. Forschungsschwerpunkte: Wissens- und Kulturgeschichte der Naturwissenschaften, v.a. der Physik; Geschichte und Epistemologie des Unfalls; Kulturtechniken der Synchronisation; Letzte Publikationen: „Self-Writing Machines: Technology and the Question of the Self“, in: communication +1, vol. 4, 2015 (online); Mit Marcelo Caruso (Hrsg.): „Maschinen“, in: Jahrbuch für Historische Bildungsforschung, Bd. 20, 2015 (Verlag J. Klinkhardt). Mit Thomas Macho (Hrsg.): Kulturtechniken der Synchronisation, 2013 (Wilhem Fink Verlag).

 

FORSCHUNGSPROJEKT

Kulturtechniken der analogen Simulation

Dem Forschungsvorhaben liegt die Idee zugrunde, die Frage nach den Medienkulturen der Computersimulation auf Experimentalsysteme zu übertragen, in denen vor dem Auftreten des Computers als Universalmedium Daten massiv parallel prozessiert wurden. Zentrales Beispiels ist dabei der Windkanal, in dem unterschiedlichste physikalische Modellbildungen simuliert werden. Erforscht werden sollen die Geschichte und Epistemologie v.a. der Anlagen der Deutschen Versuchsanstalt für Luftfahrt auf dem Standort Berlin/Adlershof als Analogcomputer, in denen sich hydrodynamisches Wissen als Schlieren, Nebelzüge oder Windfähnchen materialisiert.

Die historischen Vorläufer dieser analogen Simulationsmedien im Sinne einer Empirisierung und Formalisierung des technischen Wissens reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Erste empirische Experimente zur Bestimmung und Optimierung der Form von Wasserrädern wurden durch Christopher Polhem um 1700 und John Smeaton um 1760 durchgeführt. Christopher Polhem (Polhammar) gründete 1697 in Schweden die erste Ingenieursschule, das »Laborium mechanicum« in Stockholm und führte aufwendige Testreihen zur Effizienz von Wasserrädern am Modell durch. John Smeaton erhielt 1759 die Copley Medaille für seine hydromechanischen Untersuchungen von Wasser- und Windmühlen. Er simulierte über knapp sieben Jahre hinweg die Physik von unterschiedlichen Typen von Wasserrädern in einem verkleinerten Modellversuch, an dem er 13 verschiedene Parameter ausmessen konnte. Weitere historische Stationen sind Gustave Eiffels Versuche 1905/06 am Eiffelturm oder die Windkanalversuche der Brüder Wright wenige Jahre zuvor, bis Vanevar Bush am 20. September 1940 keinem geringeren als Norbert Wiener vorschlägt, dessen »differential analyser« zum Design von Flugzeugflügeln und Patronenhülsen zu verwenden.

Die grundlegende These des Forschungsvorhabens ist, daß Rechnen und Abbilden innerhalb dieser Simulationen nicht voneinander zu trennen sind, sie finden als gemeinsame Praxis im Experimentalraum des Windkanals statt. Was die weiterführende Frage motiviert, ob und inwiefern in diesen Kulturtechniken der analogen Simulation Dispositive vorgezeichnet sind, die in der digitalen Simulation beispielsweise der Hochenergiephysik wiederbegegnen. Welchen Bildstatus also besitzen die empirischen Evidenzen, die im Windkanal als Form von Selbstschreibungen generiert werden?