Prof. Dr. Elena Esposito

Elena Esposito lehrt Kommunikationssoziologie an der Universität Modena und Reggio Emilia in Italien. Ausgehend von der Theorie sozialer Systeme arbeitet sie an Themen, die das soziale Management von Zeit umfassen, darunter Erinnern und Vergessen, Mode und Vergänglichkeit, Wahrscheinlichkeitsrechnung, sowie Fiktion und Zeitanwendung in der Finanzwelt. Ihre aktuellen Forschungsprojekte untersuchen die Möglichkeiten und Formen des Vergessens im Web, eine Soziologie der Algorithmen sowie die Verbreitung der Rankings und Ratings im Informationsmanagement. 

Sie publizierte zahlreiche Arbeiten über die Theorie sozialer Systeme, Medientheorie, Gedächtnistheorie und über die Soziologie der Finanzmärkte. Darunter sind u.a.: «The Future of Futures. Time and Money in Financing and Society», 2011 (Edgar Elgar Pub); «Die Verbindlichkeit des Vorübergehenden. Paradoxien der Mode», 2004 (Suhrkamp);  «Soziales Vergessen. Formen und Medien des Gedächtnisses der Gesellschaft», 2002 (Suhrkamp).

 

FORSCHUNGSPROJEKT

Korrelation und Kommunikation. Big Data in der Soziologie

Ausgehend vom provokativen und einflussreichen Artikel von Chris Anderson in Wired (Anderson 2008), hat die Verbreitung der Digitalisierung die Form einer Herausforderung für die Methoden, aber auch für die Annahmen der wissenschaftlichen Forschung in allen Bereichen genommen. Für die Sozialwissenschaften ist die Herausforderung noch tiefer, weil sie reflexiv wird: ist die Soziologie in der Lage, die Änderungen in Form der Beobachtung der Gesellschaft, also der Soziologie selbst, zu beobachten? Mein Eindruck ist, dass die Entwicklung der Digitalisierung, anstatt sie zu beseitigen, die Kompetenzen und Fragen meiner Disziplin in den Vordergrund rückt, weil die Entwicklung der Technologie eine Reflexion über die Bedeutung und die Formen der Kommunikation erfordert (oft unabhängig von den Absichten der Beobachter). Wir brauchen einen Kommunikationsbegriff, der in der Lage ist, die laufenden Transformationen zu erfassen. Das kann heute nur die Soziologie liefern.
Die – heute sehr verbreitete aber auch sehr undurchsichtige, zentrale Frage betrifft die Bedeutung von Big Data. Worum geht es eigentlich in Big Data?

Die praktischen Ergebnisse sind erstaunlich. Schon heute sind die Systeme des „machine learning“ in der Lage, vorher nie begegnete Bilder zu erkennen, Gespräche über unbekannte Themen zu führen, Verhalten, Gedanken und Wünsche der Nutzer zu antizipieren, Sätze zu ergänzen, bevor wir mit dem Tippen fertig sind, und uns Ratschläge zu geben. Aufgrund von Big Data können wir selbstfahrende Autos bauen (oder bald), direkt online Anrufe von einer Sprache in eine andere übersetzen, digitale Assistenten verwenden, welche die Informationen, die wir brauchen, jeweils punktuell liefern.

Auf theoretischer Ebene jedoch ist es noch nicht klar, ob und wie Big Data (wie einige Beobachter behaupten) zu einem «computational turn in thought and research» (Boyd and Crawford 2012: 663; Berry 2011; Kittchen 2014) führt, dass das Verständnis von Daten, Informationen und schließlich Forschung und Wissen zutiefst verändert (Wagner-Pacifici et al 2015). Es kann nicht bloß eine Frage der Quantität sein (data is bigger), solange nicht gezeigt wird, wo und wie Quantität zur Qualität wird.