Prof. Dr. Rolf Grossmann

Rolf Großmann studierte Musikpädagogik und -wissenschaft, Germanistik, Philosophie, Physik an den Universitäten Bonn, Siegen und Gießen; Promotion über "Musik als Kommunikation". Er ist Professor für 'Digitale Medien und auditive Gestaltung' an der Leuphana Universität Lüneburg, dort seit 1997 Leiter des Schwerpunktbereichs "((audio)) Ästhetische Strategien", und gründete mit Martin Wanke das Institut für Kultur und Ästhetik digitaler Medien (ICAM). Rolf Großmann hat Lehraufträge zur digitalen Musikproduktion, -ästhetik und Medienkunst an der Kunsthochschule für Medien Köln, der Popakademie Baden-Württemberg, der Hochschule der Künste Bern, sowie den Universitäten Basel, Siegen und Hamburg.
Arbeitsschwerpunkte sind: Technikkultur und Medienästhetik der Musik; Sampling, Remix, virtuelle Instrumente.
Letzte Publikationen sind u.a.: "Sensory Engineering. Affects and the Mechanics of Musical Time." In: Marie-Luise Angerer, Bernd Bösel, Michaela Ott (Hg.): Timing of Affect. Epistemologies, Aesthetics, Politics. 2014 (diaphanes), S. 191-205; "Computer als Klangmedium." (mit Malte Pelleter). In: Schröter, Jens (Hg.): Handbuch Medienwissenschaft. 2014 (Metzler), S. 328-333.

Publikationen zur Ästhetik und Technikkultur der Musik.
http://audio.uni-lueneburg.de

 

FORSCHUNGSPROJEKT

Simulation in digitalen Umgebungen auditiver Gestaltung
mit Malte Pelleter, M.A.

„Virtuell Analog“ ist in der Musikelektronik ein gebräuchliches Etikett, um Produkte und Praxis der seit den 1990er Jahren verbreiteten Simulation analoger Geräte zu kennzeichnen. Klänge ohne Körper, d.h. deren Erzeugung und Gestaltung ohne physisch bewegte Massen, gibt es seit den elektronischen Schwingkreisen der 1910er Jahre; Vorläufer der Sampler, die mittels phonographischer Aufzeichnung das Vorhandensein „realer“ Instrumente vortäuschen („emulieren“), entstehen in den 1950ern. Hintergrund für die heute alltägliche Simulation in Studios und Live Performances ist die digitale Wiederauferstehung dieser Welt aus mechanischer Hardware, Elektronenröhren, Tonbändern und Patchkabeln, zumeist begleitet von photorealistisch nachgebildeten Oberflächen. Simulation hat dabei einerseits eine technische Perspektive, von der Berechnung von Sägezahnschwingungen und Raumreflexionen berühmter Konzertsäle über das physical modeling von Luftsäulen und Resonanzkörpern bis zum analog behavioral modeling von Schaltungselementen analoger Synthesizer. Direkt damit verbunden ist andererseits eine rückwärtsgewandte gestalterische Praxis, welche, geprägt von ihrem simulativen Rahmen, die Spielweisen und klanglichen Erfahrungsräume der Vergangenheit nicht überschreitet.

Simulation ist also hier kein zukünftiges oder gar visionäres, sondern bereits alltägliches Verfahren des Rückbezugs und manchmal auch Rückschritts. So paradox es klingen mag, technisch aufwändige simulative Prozesse stellen dabei die für handwerklichen Traditionen des Musizierens notwendige Verbindung zwischen digitalen Umgebungen und herkömmlichen Instrumenten her. Erst die Überwindung des Simulationsparadigmas erlaubt es allerdings, das Potenzial neuer digitaler Gestaltungsmöglichkeiten in der Musik weiter zu entwickeln. Zwei zentralen Fragestellungen wird in diesem Kontext nachzugehen sein: Welche technischen und dispositiven Rahmungen entstehen durch die Simulationsprozesse in der auditiven Gestaltung? Und: Wo bestehen Freiheitsgrade in diesen Rahmungen für die Exploration neuer ästhetischer Strategien? Dabei werden sowohl die Traditionslinien historischer Gestaltungspraxen elektronischer und phonographischer Musik als auch die Analyse aktueller technischer Konfigurationen eine Rolle spielen.