Prof. Dr. Yvonne Förster

Yvonne Förster hat Philosophie der Kultur und Kunstphilosophie an der Leuphana Universität Lüneburg sowie Ästhetik an der Bauhaus Universität Weimar gelehrt. Sie wurde mit einer Arbeit zu Zeiterfahrung und Ontologie (2012, Fink) an der Friedrich Schiller Universität Jena promoviert. Forschungsschwerpunkte sind Theorien der Verkörperung, Philosophie der Kultur und Medien sowie das Verhältnis von Mode und Kunst. Derzeit untersucht sie den Einfluss neurowissenschaftlicher Bildrhetorik auf das menschliche Selbstverständnis anhand von Beispielen aus Film und Medienkunst: Aktuelle Publikationen: „The Neural Net as Paradigm for Human Selfunderstanding“, in: Leefman, Jon, Elisabeth Hildt (Hg.): The Human Sciences after the Decade of the Brain, 2016 (Elsevier). „Long Live the Immaterial! Corpo e Arte al Tempo della Virtualizzazione”, in: Francesca Iannelli, Gianluca Garelli, Federico Vercellone and Klaus Vieweg (Hg.): Fine e nuovo inizio dell’arte, 2016 (Edizioni ETS: Pisa).

 

FORSCHUNGSPROJEKT

Von neuronalen Netzen zu künstlichen Intelligenzen

Die bildgebenden Verfahren der Neurowissenschaften und ihre Betonung neuronaler Prozesse als Grundlage von Bewusstsein bestimmen weitgehend das gegenwärtige Bild des Menschen. Simulationen von neuronalen Netzen, künstliche Intelligenzen sowie Bilder aus den MRT’s und PET’s sind Bestandteil der meisten Studien innerhalb der Neuro- und Kognitionswissenschaften, weil sie in erster Linie Evidenz suggerieren. Aufgrund dieser Eigenschaft sind sie auch weithin präsent in populärwissenschaftlichen Darstellungen. Nicht alleine die bildgebenden Verfahren, sondern auch Simulationen neuronaler Aktivität in virtuellen oder künstlichen Intelligenzen spielen eine zentrale Rolle. Kognition wird gerade in den Visualisierungen als auf das Gehirn reduzierbarer Vorgang konzipiert, der auf verschiedenste Weisen realisierbar ist. Fernando Vidal prägte für diese Tendenz den Begriff Brainhood, der in den Zeiten der Neurowissenschaft das Konzept von personaler Identität ersetzt. 

Dieser reduktionistische Ansatz steht in enger Verbindung mit non- und posthumanen Ansätzen. Philosophische Theorien der neuen Medien und Technikphilosophie betonen den Einfluss technologischer Umwelten auf menschliche Kognition, der der Erfahrung entzogen bleibt. Diese prinzipielle Entzogenheit zusammen mit dem exponentiellen Wachstum technologischer Komplexität ist Grundlage futuristischer Imaginationen gerade im Bereich des Kinos, wo netzartige Superintelligenzen den Menschen transzendieren oder durch Synthese zu körperlosen posthumanen Lebensformen werden lassen. Filme wie Ghost in the Shell (1995), Her (2013) oder Transcendence (2014) imaginieren komplexe Netzstrukturen, welche die Grundlage für emergente Intelligenzformen darstellen, die an entkörperte neuronale Netze erinnern. Diese haben die Eigenschaften selbsterhaltend, lernfähig und adaptiv zu sein. Das steht im Kontrast zu einer Vielzahl künstlerischer und technologischer Strategien sowie philosophischer Ansätze, welche Verkörperung als konstitutiv für Kognition erachten. Experimentelle Computerwissenschaft und Medienkunst integrieren beispielsweise sensomotorische Feedbackschleifen um verkörperte Kognition in Robotern und anderen rechenbasierten Systemen nachzuahmen.

In der Zeit am MECS werde ich vor allem Visualisierungen von verkörperten/entkörperten Intelligenzen in Wissenschaft, AI und Medienkunst auf Basis phänomenologischer Theorien untersuchen. Ergänzend dazu sollen Kinofilme mit Blick auf Inszenierungen posthumaner Intelligenzen analysiert werden, weil gerade das Medium Film symptomatisch für das menschliche Selbstverständnis vor allem mit Blick auf technologische Umwelten ist. Ziel des Projektes ist es, auf Basis von Visualisierungen Konzepte von Kognition im Spannungsfeld von Verkörperung und Entkörperung zu untersuchen, um so eine Filiation vom Wissen über den Menschen hin zu seiner Überschreitung in posthumanen Szenarien offenzulegen.