Ausstellung und Workshop: Fakturen

im Rahmen der GfM Jahrestagung 2013

"Die Medien der Wissenschaften"

 

Eine Ausstellung organisiert vom Leuphana Arts Program (LAP) zu Gast im Kunstraum der Leuphana Universität Lüneburg

Kunst und Wissenschaft stehen in einem komplexen und spannungsreichen Verhältnis. Die Ausstellung des Leuphana Arts Program präsentiert fünf künstlerische Positionen, die mit ihren Methoden und Resultaten nicht wissenschaftliche Projekte oder Forschungsfelder visualisieren wollen, sondern die in ihrem je eigenen ästhetischen Modus über die Möglichkeiten von Wissen und Erkennen reflektieren und Interpretationen wissenschaftlicher Beobachtungen, Datensätze und Szenarien anbieten. Indem sie den Fokus auf Grauzonen wissenschaftlicher Wahrnehmung legen, schärfen die Werke und Projekte der Ausstellung den Blick für die medialen und epistemologischen Bedingungen wissenschaftlicher Praxis.

Mit Arbeiten von Martin John Callanan (UK), Driessens & Verstappen (NL), Sabrina Raaf (US), Jan-Peter E.R. Sonntag (D) und Herwig Turk (A/PT)

Kuratiert von Andreas Broeckmann und Alexandra Waligorski

Ort: Kunstraum der Leuphana Universität Lüneburg, Campus Halle 25
Laufzeit: 3.10. - 9.11.2013
Öffnungszeiten: Mi - Sa 12-16 Uhr (am Do 3.10 und Fr 4.10. bis 22 Uhr)
Eröffnungsempfang: Do 3.10. 19-23 Uhr

Teilnehmende KünstlerInnen

Martin John Callanan

A Planetary Order ist ein Erdglobus, der die Bewölkung des Planeten in einem einzigen Zeitmoment festhält, nämlich exakt um 0600 UTC am 2. Februar 2009. Der schimmernde weiße Globus friert den transitorischen Zustand der Atmosphäre im Moment einer Sekunde ein und stellt auf subtile Weise heraus, wie fragil das Umwelt- (und Informations-)System ist, das über die ganze Erde hinweg funktioniert. Der Wolkenglobus stellt eine physikalische Visualisierung von wissenschaftlichen Echtzeit-Daten dar, die von sechs Wettersatelliten der NASA und der Europäischen Weltraumbehörde ermittelt wurden. Diese Daten wurden in ein 3D-Modell übertragen, das dann durch das Laser-Schmelz-Verfahren in eine Skulptur umgesetzt wurde. In Abgrenzung zu den meist farbigen Datenvisualisierungen der NASA verbleibt der Globus in monochromem Weiß und lässt die erhabenen Wolkenformationen feine Schatten auf die angedeuteten Umrisse der Kontinente werfen.

Martin John Callanan untersucht in seiner künstlerischen Arbeit die Stellung des Individuums innerhalb von Systemen. Derzeit ist er Teaching Fellow in Fine Arts (Digital Media & Print) an der Slade School of Fine Art des University College London und ein Mitglied des Slade Centre for Electronic Media in Fine Art (SCEMFA). In seinen Arbeiten nutzt er zahlreiche Medien und bedient sich sowohl neu aufkommender als auch gängiger Technologien. Callanans Werke wurden gezeigt beim Moscow International Film Festival, im Ars Electronic Centre, bei der ISEA2010 RUHR, im Riga Centre for New Media Culture, im Science Museum (London) und White Cube, sowie bei mehreren Jahrgängen des FILE Electronic Language International Festival in Brasilien.

Driessens & Verstappen

Breed ist ein Computerprogramm, das künstliche Evolutionsalgorithmen nutzt, um filigrane Skulpturen wachsen zu lassen. Der Zweck jedes Wachstumsprozesses ist es, durch Zellteilung aus einer einzigen Zelle eine detaillierte, materialisierbare Form zu erlangen. Dabei erzeugt eine kubische Ursprungszelle durch fortlaufende Stadien der "Zellteilung" einen komplexen, multizellulären "Körper". Morphogenetische Gesetze bestimmen, wie die Teilung einer Zelle ausfällt, je nach dem, wie sich ihr Umfeld aus weiteren Zellen gestaltet. Jede potenzielle Situation folgt somit einer eigenen Regel. Jede Regel ist über ein "Gen" kodiert, die Gesamtheit dieser Gene bilden den Genotyp des Wachstums. Die letztliche Form, der Phänotyp des Körpers, ist nicht an übergeordneter Stelle im Genotyp verankert, sondern auf seiner fundamentalsten zellulären Ebene. Sie ist das Ergebnis einer rekursiven Anwendung einfachster Regeln. Die skulpturalen Objekte werden im 3D-Druckverfahren produziert, sodass der gesamte Entstehungsprozess vom Design bis zur Ausführung automatisiert ist.

Das in Amsterdam lebende Künstlerpaar Erwin Driessens und Maria Verstappen arbeitet seit 1990 zusammen. Nach ihrem Studium an der Akademie für Bildende Künste in Maastricht und der Rijksakademie in Amsterdam entwickelten sie gemeinsam ein vielfältiges Oeuvre von Software, Maschinen und Objekten. Ihre Untersuchungen fokussieren auf die Möglichkeiten physikalischer, chemischer und Computeralgorithmen für die Entwicklung bildgenerierender Prozesse. Driessens & Verstappen nahmen an zahlreichen internationalen Ausstellungen teil. Sie referieren und präsentieren an Universitäten, Kunsthochschulen, bei Festivals und Konferenzen, so etwa bei Siggraph Los Angeles, Sonic Acts Amsterdam und Second Iteration Melbourne.

Sabrina Raaf

Translator II: Grower ist ein kleines „Wanderfahrzeug“, das sich an den Wänden eines Raumes entlang bewegt. Dabei reagiert es auf den Kohlendioxydgehalt der Luft, indem es mit grüner Tinte senkrechte Markierungen unterschiedlicher Länge an die Wand zeichnet. Der Grower erfasst den Kohlendioxydgehalt mittels eines kleinen CO2-Sensors, der unterhalb der Raumdecke des Ausstellungsraums angebracht ist und der die Daten drahtlos an den Roboter übermittelt. Die wechselnde Anzahl der Menschen, die sich im Raum aufhalten, die Sauerstoff ein- und Kohlendioxyd ausatmen, lässt die Messdaten variieren und wirkt sich unmittelbar auf die grafische Übersetzung des Roboters aus. Der Grower liest den Wert im Abstand weniger Sekunden ab und zeichnet als Reaktion hierauf eine vertikale Linie, die bis zu 30 cm hoch ausfallen kann. Sobald der Roboter eine Linie vollendet hat, rückt er einige Millimeter weiter und wiederholt den Vorgang. Am Ende der Ausstellung ist die Wand mit dünnen grünen Linien überzogen, die an den Querschnitt einer Rasenfläche erinnern.

Sabrina Raaf ist eine Künstlerin, die mit mechanisierten skulpturalen Medien experimentiert, mit “responsiven” Umgebungen und sozialen Orten, sowie mit Fotografie. Sie erhielt ihren MFA in “Art and Technology” an der School of the Art Institute of Chicago und ist derzeit Associate Professor für „New Media Art“ an der School of Art and Art History der University of Illinois in Chicago. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen präsentiert, u.a. bei der ZERO1 Biennial (2011, San José), der Ars Electronica (Linz), und ISEA 2004 (Helsinki). Sie erhielt einen “Creative Capital Grant in Emerging Fields” (2002) und eine Illinois Arts Council Fellowship (2005, 2001).

Jan-Peter E.R. Sonntag

Für das Ende der Philosophie und die Aufgabe des Denkens erfindet und empfiehlt Kittler die Technikhistoriontologie dessen, was Heidegger das Gestell genannt hat. Auf Kittlers Schreibspuren, mit scharfem Blick und wachem Ohr, mit und gegen Kittler an Nietzsche und über Foucault gilt es, nicht schlicht den Modularsynthesizer einer Vivisektion zu unterziehen. Über das Denken und Dichten von Hardware betreiben wir an den nachgelassenen Corpora Philologie, Kittler-Exegese. Schaltungsgrammatologie. 'Sie haben Recht – unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken.' (Colli/Montinari, KSB III, 1, 172) 'Anstelle der Spiele zwischen zeichensetzenden Menschen und Schreibfläche, Philosophengriffel und Naturtafel tritt das Spiel zwischen der Type und ihrem Anderen, ganz abgelöst von Subjekten. Sein Name ist Einschreibung.' (Aufschreibesysteme, 238)

apparatus operandi ist ein conceptual art project von Jan-Peter E.R. Sonntag aus Setzungen in verschiedenen Formaten. Zusammen mit Sebastian Döring leitet er auch den wissenschaftlichen Forschungsteil des Projektes und zusammen geben sie den Hardware-Teil der Gesammelten Schriften Friedrich Kittlers heraus.

Jan-Peter E.R. Sonntag ist Künstler, Komponist und Theoretiker und beschäftigt sich mit ästhetischen, historischen und wissenschaftlichen Aspekten technischer Systeme. Er schafft meist raumbezogenen Installationen. Er studierte Kunst, Kunstgeschichte, Musikwissenschaft, Komposition, Philosophie und Kognitionswissenschaft. Er erhielt zahlreiche Stipendien und Preise, u.a. den Deutschen Klangkunstpreis, CYNETart-Award, war Fellow der Akademie Schloss Solitude und der Villa Aurora und nahm teil an zahlreichen internationalen Ausstellungen, u.a. V2, Rotterdam; transmediale, Berlin; Media City Seoul; Laboral, Gijon; ars electronica, Linz; ZKM, Karlsruhe; Hartware Medienkunstverein, Dortmund; Württembergischer Kunstverein, Stuttgart; The Kitchen, New York.

Sebastian Döring konzipiert und veranstaltet seit 2005 Fröhliche Wissenschaft im Medientheater, ergründet Wissenskonfigurationen und betreibt Medienarchäologie und -epistemologie. Von 2009 bis 2012 leitete er den Medienarchäologischen Fundus der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Archäologie des neuzeitlichen Subjekts und die Analyse epistemischer Dinge. Zusammen mit Jan-Peter E.R. Sonntag leitet er den wissenschaftlichen Forschungsbereich des concept art projects „apparatus operandi#1 – der Synthesizer des Friedrich A. Kittler“.

Herwig Turk

Herwig Turks Labscapes zeigen fotografische Aufnahmen von naturwissenschaftlichen Laboren. In einer Mischung aus Landschafts- und Interieuraufnahmen präsentiert er die Räume, Möbel und Instrumente, die der experimentellen Erfassung, Entwicklung und Konstitution wissenschaftlicher Erkenntnisse dienen. Materialität, Anordnung und individuelle Markierungen charakterisieren die dokumentierte Situation. Mit einem nüchternen Blick erfasst der Künstler die systematische Ordnung wie auch die idiosynkratischen Eigenheiten und kleinen Unordnungen der Arbeitsplätze, die auf den zweiten Blick einen hohen Grad an Subjektivität verraten. An den Orten, an denen vermeintlich objektives Wissen erkundet wird, finden wir die Spuren zahlreicher menschlicher und nicht-menschlicher Akteure, die hier gemeinsam an der Verhandlung epistemischer Konstruktionen arbeiten.

Der Künstler Herwig Turk arbeitet in Wien und Lissabon. Er entwickelt seine künstlerischen Arbeiten im Spannungsfeld von Kunst, Technologie und Wissenschaft. Zwischen 2003 und 2010 arbeitete Herwig Turk mit Dr. Paulo Pereira vom Institute for Biomedical Imaging and Life Sciences der Universität Coimbra an einem gemeinsamen Projekt zur Rolle von Wahrnehmung im Prozess der Wissenskonstruktion. Seit 2010 ist er Artist in Residence am IMM (Instituto da Medicina Molecular), Lissabon. Seine Arbeiten wurden u.a. im Museum Moderner Kunst Kärnten, im Neuen Museum Weserburg Bremen, im TESLA Labor für Medienkunst Berlin, im MAK Museum für Angewandte Künste Wien, bei der transmediale Berlin und im Seoul Museum of Art gezeigt.

Workshop

"Fakturen – wissenschaftliche Medien aus künstlerischer Sicht"

Donnerstag, 03. Oktober 2013, 14:30 Uhr–16:30 Uhr, Session 1.6 / Raum: C 14.006

In der Ausstellung "Fakturen“, die anlässlich der GfM-Tagung an der Leuphana stattfindet, reflektieren Künstler_innen wie Martin John Callanan (UK), Driessens & Verstappen (NL), Sabrina Raaf (US), Jan-Peter E.R. Sonntag (D) und Herwig Turk (A/PT) über die Ästhetik wissenschaftlicher Instrumentarien, Modelle und Methoden. – In diesem Workshop stellen die Künstler_innen ihre Projekte vor und diskutieren mit den Teilnehmer_innen die spezifischen Erkenntnismöglichkeiten künstlerischer Forschung und Darstellung. Sie thematisieren die Möglichkeiten und Grenzen, Kunst und Wissenschaft miteinander zu verschränken, und eröffnen den Blick auf das weite Spektrum der Definitionen und Praxen künstlerischer Forschung.

Moderation: Andreas Broeckmann, Alexandra Waligorski (beide Leuphana Arts Program)

(Workshop in englischer Sprache)

GfM Jahrestagung

Weitere Informationen zur Tagung "Die Medien der Wissenschaften" vom 3. - 5. Oktober an der Leuphana finden sich unter www.gfm2013.de