Kulturwissenschaftliches Erzählen und materielle Kultur

Museen sind seit ihrer Entstehung um 1800 Orte der Bildung und des Wissens. In einer zunehmend global vernetzten Gesellschaft hat die öffentliche Auseinandersetzung um kulturelles Erbe, um gesellschaftliches Selbstverständnis und dessen Wertekanon eine hohe Bedeutung. Insbesondere sind es Museen, die uns daran erinnern, dass Objekte aller Art Speicher von Wissen sein können. Sie präsentieren Artefakte nicht nur, sondern bieten Bedeutung stiftende „Erzählungen“, die Geschichte, Normen und Werte betreffen. Dinge erzählen von denen, die sie hergestellt und gebraucht haben, von den Handelswegen, die sie zurückgelegt haben, und von kulturellen Differenzen. Artefakte sind jedoch nicht durch ihre Präsenz und Ästhetik allein sprechend. Ihre Aussagekraft wird in der Vermittlung historischer Kontexte, Funktionen und Gebrauchsweisen erst hervorgekehrt. Das macht Museen zu bedeutenden Orten der Reflexion und der Selbstverständigung einer Gesellschaft. Der Wert der Dinge im Museum ist nicht gegeben, sondern Gegenstand von gesellschaftlich relevanten Aushandlungsprozessen. Museen sind aufgefordert, im Lichte der Dinge stets neue Formen kulturellen Erzählens zu entwickeln. Diese Themen werden in der aktuellen museologischen Forschung intensiv diskutiert (te Heesen/Lutz 2005; Korff 2007). Tagungen wie „Was heißt und zu welchem Ende betreibt man Forschung in Museen?“  (Berlin, 17.-19.12.2000; siehe Krull/Graf 2009) „Die Zukunft der Forschung in Museen“ (Hannover, 11./12.06.2014; siehe Hoins/Mallinckrodt 2014) haben das Thema in dieser Perspektive auf die Agenda gesetzt. 

 

Die aktuelle universitäre Forschung zu Objekten der materiellen Kultur und ihrer gesellschaftlichen Relevanz weist eine große Schnittmenge mit diesen Fragen der musealen Praxis auf, ohne dass beide Bereiche sich bisher ausreichend berühren würden (siehe dazu zuletzt Lichtensteiger 2014). Im Vordergrund kulturwissenschaftlicher Debatten stehen derzeit Dingwelten, Kulturtechniken und die Netzwerke menschlicher und nichtmenschlicher Akteure, die moderne Gesellschaften bestimmen (Latour 2001; Miller 2010; Siegert 2015; Belliger/Krieger 2006). Objekte werden dabei insgesamt nicht isoliert betrachtet, sondern als aussagekräftige Artefakte in immer neuen Sinn- und Raumgefügen begriffen (Tilley 2013; Samida 2014; Breward 1999). Museen und die von ihnen etablierten Formen der Kontemplation und Konzentration gewinnen angesichts dieser Forschungsansätze an neuer Relevanz für die Geisteswissenschaften. 

 

Die Kulturwissenschaften ihrerseits verfügen über einen breiten Fundus historischen und theoretischen Wissens, das es für Museen und die in ihnen gestifteten Erzählungen und Objektbeziehungen zu aktivieren und vermitteln gilt.

PriMus führt kulturwissenschaftliche Reflektion und museale Praxis auf dem Stand der aktuellen Debatte disziplin- und institutionsübergreifend zusammen. DoktorandInnen arbeiten mit Sammlungsbeständen, die auch die Geschichte des jeweiligen Museums veranschaulichen. So eignen sie sich besonders zur Erprobung neuer Ansätze kulturwissenschaftlichen Erzählens und werden zugleich aufgewertet gegenüber Wechselausstellungen und den Zwängen musealer Eventkultur. So werden auch Impulse für Dauerausstellungen gewonnen. Gerade diese „benötigen einen aktiven Forschungsinput ... , um inhaltlich auf dem neuesten Wissensstand sein zu können“ (WKN, Forschung in Museen 2010, S. 25).

 

Zitierte Literatur: 

  • (Belliger/Krieger 2006): Belliger, Andréa, David J. Krieger: ANThology: Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie, Bielefeld 2006.
  • (Breward/Aynsley/Kwint 1999): Breward, Christopher, Jeremy Aynsley, Marius Kwint (Hrsg.): Material Memories. Design and Evocation, Oxford/New York 1999.
  •  (Hoins/Mallinckrodt 2014): Hoins, Katharina, Felicitas von Mallinckrodt: [Tagungsbericht zu:] Die Zukunft der Forschung in Museen (Hannover, 11. - 12.06.2014). In: H-ArtHist, 25.06.2014, arthist.net/reviews/8074 (Stand 10.3.2015).
  •  (Korff 2007): Korff, Gottfried: Museumsdinge. Deponieren - Exponieren, hrsg. von Martina Eberspächer, Gudrun Marlene König, Bernhard Tschofen, Köln/Weimar/Wien 2007.
  •  (Krull/Graf 20099: Krull, Wilhlem, Bernhard Graf (Hrsg.): Was heißt und zu welchem Ende betreibt man Forschung in Museen?. Berlin 2009.
  • (Latour 2001): Latour, Bruno: Das Parlament der Dinge, Frankfurt am Main 2001.
  •  (Lichtensteiger/Minder/Vögeli 2014): Lichtensteiger, Sibylle, Aline Minder, Detlev Vögeli (Hrsg.): Dramaturgie in der Ausstellung. Begriffe und Konzepte für die Praxis, Bielefeld 2014.
  •  (Miller 2010): Miller, Daniel: Der Trost der Dinge, Berlin 2010.
  • (Samida 2014): Samida, Stefanie (Hrsg.): Handbuch Materielle Kultur. Bedeutungen - Konzepte - Disziplinen, Stuttgart 2014
  • (Siegert 2015): Siegert, Bernhard: Cultural Techniques: Grids, Filters, Doors And Other Articulations of the Real, New York 2015 (im Erscheinen).
  • (te Heesen/Lutz 2005): te Heesen, Anke, Petra Lutz (Hrsg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort, Köln/Weimar/Wien 2005.
  • (Tilley u.a. 2013): Tilley, Chris, Webb Kaeane, Susanne Küchler, Mike Rowlands, Patricia Spyer (Hrsg.): Handbook of Material Culture, London 2013.
  • (WKN, Forschung in Museen 2010): Forschung in Museen. Eine Handreichung, hrsg. von der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen, Hannover 2010. http://www.museumsbund.at/uploads/standards/WKN_Forschung_in_Museen.pdf (Stand 13.3.2015)