Zur aktuellen Problematik von Forschung und Praxis

Laut den Standards für Museen des Deutschen Museumsbundes haben Museen im Kern das „Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen/Vermitteln“ (DMB/ICOM, Standards für Museen 2006, S. 6) zur Aufgabe. „Vorrangige Aufgabe ist die objektorientierte Forschung an den Sammlungsbeständen“ (ebd., S. 18). Die Forschung ist deswegen fundamental, weil sie die Grundlage aller anderen Aufgaben darstellt (vgl. WKN, Forschung in Museen 2010, S. 11). Aufgrund schmaler Budgets, angespannter Personallagen und einer Fokussierung auf den Ausstellungsbetrieb sind die Forschungsaktivitäten in der überwiegenden Mehrzahl der Museen jedoch deutlich zurückgegangen. 

 

Wie die Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen (WKN) basierend auf Umfrageergebnissen herausgestellt hat, haben nur rund 10% aller Museen mehr als 5 hauptberuflich beschäftige MitarbeiterInnen, von denen jeweils weniger als die Hälfte ganz oder teilweise mit Forschungsaufgaben befasst ist (ebd., S. 18). 68% der Museen in Niedersachsen verfügen laut derselben Fragebogenerhebung (mit einem Rücklauf von 38,7% der insgesamt 672 angeschriebene Einrichtungen in Niedersachsen) über keine MitarbeiterInnen, die für die Forschung einsetzbar wären (vgl. ebd., S. 29). Laut Selbsteinschätzung stellt sich die Lage an kulturgeschichtlichen Spezialmuseen nochmals verschärft dar (vgl. ebd., S. 36). MitarbeiterInnen sind fachlich zwar bestens ausgebildet, verfügen aber meist über keinerlei Ausbildung in visueller Präsentation. Spartenübergreifend wird zunehmend einseitig auf hohe Besucherzahlen in temporären Ausstellungen gezielt (vgl. ebd., S. 11). Bezogen auf den Forschungsindikator Publikationen liegen mit 19,68% Ausstellungskataloge dementsprechend weit vor Bestandskatalogen, die laut Museen in Niedersachsen 2010 lediglich 4,82% des publizistischen Forschungsoutputs abgeben (vgl. ebd., S. 37). Insgesamt kommt die Studie der WKN zu dem Ergebnis, dass vermutlich nur 10% aller Museen in Niedersachsen im engeren Sinne forschen (vgl. ebd., S. 39), was dem Bundesdurchschnitt entspricht (vgl. Forkel 2007, S. 7; Volk 2009, S. 117). Diese Situation kann demnach als auf andere Bundesländer übertragbar gelten.

 

Die Erforschung von eigenen Sammlungsbeständen, die das Zentrum des gesellschaftlichen Mandats des Museums bildet, nimmt bundesweit also nur noch einen relativ geringen Prozentsatz des operativen Budgets und Personalplans ein. Trotz ständig wachsender Bestände ist es den Museen in immer selteneren Fällen möglich, durch die Sammlungsarbeit neue Forschungserkenntnisse zu gewinnen und diese an ein großes Publikum zu vermitteln. Falls das Fundament des Museums die Forschung ist, dann zeigt dieses Fundament Risse; dies ist umso gravierender, als Wissenschaft und Alltag sich in Museen prägnant und öffentlichkeitswirksam begegnen könnten (vgl. Rauterberg 2010). Universitäre und museale Forschung driften zunehmend auseinander. Unter den Titel „Faltenzählen versus Bildwissenschaft. Die Forschung an Museen und Universitäten: Konkurrenz oder Partnerschaft“ hat der Verbund Deutscher Kunsthistoriker diesem Umstand eine eigene Sektion des XXXIII. Deutschen Kunsthistorikertags 2015 an der Universität Mainz gewidmet. Die Entwicklung hat zur Folge, dass Museen immer seltener Erträgen der aktuellen kulturwissenschaftlichen und kunsthistorischen Forschung Rechnung tragen oder ihre Ausstellungen selbst als Forschungsausstellungen verstehen können. Gerade im Kunstbereich sind Übernahmen kompletter Ausstellungen anderer Häuser nicht mehr die Ausnahme; sie drohen auf Kosten der Möglichkeit, die ständige Sammlung attraktiv zu präsentieren, den „Charakter des Museums als dauerhafte Einrichtung in Frage“ zu stellen (Fehr 2006, S. 164).

 

In Reaktion auf diese Ausgangslage fördert PriMus Promotionen zu Themen, die Sammlungsbestände erschließen und der Öffentlichkeit sowohl in Buchform als auch in einer Ausstellung zugänglich machen. Damit akzentuiert PriMus den Umstand, dass die Forschung im Museum stets „in einem Wechselverhältnis mit den anderen drei Museumsaufgaben Sammeln, Bewahren und Vermitteln“ steht (WKN, Forschung in Museen 2010, S. 15). Zugleich folgt das Programm dem Hinweis der WKN, dass das spezifische Forschungsprofil des Museums sammlungsorientiert und idealerweise in ein Netzwerk eingebunden sein soll (vgl. ebd.), im vorliegenden Fall mit der Leuphana Universität und ihren Partnerinstitutionen. Seitens der WKN wird Museen empfohlen, externe Forschungsakteure, insbesondere NachwuchswissenschaftlerInnen in der Qualifikationsphase, ins Haus zu holen (vgl. ebd., S. 19). 

 

PriMus soll ein solches Forschungsnetzwerk etablieren. Befördert wird dabei die Forschung auch an jenen Museen, die nicht von der Leibniz-Gemeinschaft explizit als Forschungsmuseen ausgewiesen sind. Im Gegenzug profitiert die historische und theoretische Forschung an der Universität von den genuinen Kompetenzen und den Materialbeständen des Museums. Sie erhält die Möglichkeit, historische Erkenntnisse und theoretische Spekulation praktisch umzusetzen und öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. Die WKN hat in ihren „Empfehlungen zur Intensivierung der Forschung in Museen“ dafür plädiert, die Zusammenarbeit zwischen Museum und Universität zu beiderseitigem Nutzen zu stärken: „Museen bringen ihren spezifischen Sammlungsbezug aus dem Spektrum ihrer Museumsaufgaben ein, Universitäten ihre theoretische und methodische Kompetenz“ (vgl. ebd. S. 55). PriMus kommt seitens der Hochschule dem Aufruf der WKN nach, Museen und Sammlungen als Kooperationspartner neuer Forschungsprojekte einzubeziehen (vgl.ebd., S. 71).

 

Die Forschungspolitik und -förderung hat die Notwendigkeit erkannt, Museumssammlungen und Universitäten stärker miteinander in Dialog zu bringen: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat mit der Initiative Übersetzungsfunktion der Geisteswissenschaften  2007 die Vernetzung beider Bereiche insgesamt zu stärken versucht; mit dem im Rahmen dieser Ausschreibung geförderten Projekt Wissen & Museum: Archiv – Exponat – Evidenz  an der Eberhard Karls Universität Tübingen ruckten in Zusammenarbeit mit dem DeutschenLiteraturarchiv Marbach (DLA) von 2009 bis 2012 vor allem die Bedingungen literaturhistorischen Ausstellensin den Forschungsfokus; von den Erfahrungswerten dieses Projekts profitiert PriMus in Person der InnovationsmentorinProf. Dr. Heike Gfrereis, Leiterin der Museen des DLA. Im Unterschied zu Wissen & Museum geht es bei PriMus nicht allein um den Transfer zwischen Universität und Museum, sondernum die Verbindung eben dieses Wissenstransfers mit einem Ausbildungsmodell.

Mit Die Sprache der Objekte – Materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen fördert das BMBF seit 2012 eine auf Sammlungsbestände gestützte Dingforschung in standortübergreifenden Verbundvorhaben. Diese stellen die Aura und sozialen Bedeutungshorizonte kultur-, religions- und technikhistorischer Artefakte in Museen, Universitätssammlungen und Denkmalämtern in den Mittelpunkt. Mit dem Fokus auf materielle Kultur nimmt PriMus diesen Impuls auf, integriert ihn jedoch in ein Ausbildungsprogramm mit gesteigertem Vermittlungsanspruch an eine breite Öffentlichkeit.

 

Mit der Förderinitiative Forschung in Museen hat die VolkswagenStiftung begonnen, gerade mittlere und kleinere Häuser als Forschungsinstitutionen zu unterstützen. PostdoktorandInnen forschen im Rahmen von Fellowships sammlungsbezogen vor Ort. PriMus setzt hingegen eine Ausbildungsstufe früher an und führt bereits DoktorandInnen in die museumsbezogene Forschung ein.

 

Zitierte Literatur: 

  • (DMB/ICOM, Standards 2006): Standards für Museen, hrsg. vom Deutschen Museumsbund e. V. gemeinsam mit ICOM Deutschland, 2. korrigierte Aufl. Kassel/Berlin 2006. www.museumsbund.de/fileadmin/geschaefts/dokumente/Leitfaeden_und_anderes/Standards_fuer_Museen_2006.pdf (Stand 13.3.2015)
  • (Fehr 2006): Fehr, Michael: Unzeitgemäße Überlegungen zum Status und zur Zukunft der Museen, in: Norbert Sievers, Bernd Wagner (Hrsg.), Jahrbuch für Kulturpolitik, Bd. 6, Essen 2006, S. 163-169.
  • (Forkel 2007): Forkel, Jens A.: Zwischen Geschichte und Arbeitsmarkt. Eine Studie zum Bildungsverlauf wissenschaftlicher VolontärInnen im Rahmen der Europäischen Hochschulreform, 2007. http://ww2.smb.museum/smb/media/collection/16334/ExpertiseForkel.pdf (Stand: 13.3.2015
  • (Rauterberg 2010): Rauterberg, Hanno: Sammeln, sortieren, enträtseln, in: Die Zeit, No. 27/2010, http://www.zeit.de/2010/27/Museumsforschung (Stand 10.3.2015).
  • (Volk 2009): Volk, Bettina: Das wissenschaftliche Volontariat am Museum. Einstieg in eine wissenschaftliche Karriere? Ergebnisse einer „Verbleibstudie 1998-2008", in: Mitteilungen des deutschen Archäologen-Verbandes e. V., Jg 40, 2009, Heft 2, S. 116-129.
  •  (WKN, Forschung in Museen 2010): Forschung in Museen. Eine Handreichung, hrsg. von der Wissenschaftlichen Kommission Niedersachsen, Hannover 2010. www.museumsbund.at/uploads/standards/WKN_Forschung_in_Museen.pdf (Stand 13.3.2015)