Werden Mittelmeer-Seenotretter durch geplante Gesetzesänderung kriminalisiert?
08.12.2023 Lüneburg/Hamburg. Die Bundesregierung plant eine Reform des Aufenthaltsgesetzes, um das Einschleusen von Ausländern zu erschweren. Die Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Valentin Schatz von der Leuphana Universität Lüneburg und Prof. Dr. Aziz Epik von der Universität Hamburg haben jetzt in einem Rechtsgutachten zu dem Vorhaben Stellung genommen. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die vom Bundesinnenministerium vorgeschlagene Ausweitung der Strafbarkeit auf uneigennützige Hilfeleistung zu einer Kriminalisierung ziviler Seenotrettung führen könnte.
Das Bundesinnenministerium plant eine Neufassung des § 96 Abs. 4 des Aufenthaltsgesetzes. Dort wird bereits heute zur Bekämpfung des Schlepperwesens unter anderem die eigennützige Einschleusung von Nicht-EWR-Ausländer*innen in einen EU- beziehungsweise Schengen-Staat unter Strafe gestellt. Mit der jetzt vorgesehen Gesetzesreform soll diese Regelung auch auf Fälle uneigennütziger Hilfeleistung ausgedehnt werden, wodurch auch etwa die humanitäre Seenotrettung auf Fluchtrouten im Mittelmeer erfasst sein könnte.
In ihrem Gutachten vertreten die Rechtswissenschaftler die Auffassung, dass das Verhalten ziviler Seenotretter*innen bei der Rettung und anschließenden Verbringung der Geretteten in einen Ausschiffungshafen strafrechtlich betrachtet gerechtfertigt ist. Die Auslegung der neuen Strafvorschrift sei aber mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, weshalb das Risiko bestehe, dass private Seenotretter*innen künftig in Deutschland strafrechtlich verfolgt oder sogar verurteilt werden. Das könnte einen Abschreckungseffekt und damit negative Folgen für die vor allem aus Deutschland koordinierte zivile Seenotrettung im Mittelmeer haben.
Die Wissenschaftler kritisieren, dass bislang keine tragfähige Begründung für die Notwendigkeit der geplanten Ausweitung der Strafbarkeit vorliegt und im Dunkeln bleibt, welchen legitimen Zweck die neue Strafvorschrift erfüllen sollte. Sie empfehlen deshalb dem Gesetzgeber, von der geplanten Ausweitung der Strafbarkeit Abstand zu nehmen, mindestens aber eine Ausnahmeregelung für Fälle ziviler Seenotrettung vorzusehen. Das wäre auch durch eine EU-Richtlinie für alle Formen humanitärer Unterstützung gedeckt.
Auftraggeber des Gutachtens war die in Berlin ansässige Organisation #LeaveNoOneBehind
Das Gutachten steht hier zum Download zur Verfügung.