Vom Unrechtskontext zur Kooperation? Vom Umgang mit dem kolonialen Erbe
11.12.2023 Karl Braun war von 1904 bis 1920 leitender Botaniker am Amani Institut im damaligen Deutsch Ostafrika, dem heutigen Tansania. Als er Afrika verließ, hatte er über 600 Objekte im Gepäck, die er zusammengetragen hatte: Alltagsgegenstände, Waffen, Instrumente und Textilien. Kurz vor seinem Tod schenkte er die umfassende Sammlung der Stadt Stade. Diese Artefakte erzählen nicht nur von präkolonialen Kulturen, sondern auch von ihren Erwerbskontexten und den Machtasymmetrien eines kolonialen Wissenstransfers.
Wie soll heute damit umgegangen werden? Zu diesem Zweck hat der Direktor der Museen Stade, Dr. Sebastian Möllers, eine Kooperation mit dem National Institute for Medical Research (NIMR) in Tansania realisiert. Davon berichtete er in der jüngsten Veranstaltung der Reihe „Ethik im Gespräch“. Sie fand am 6. Dezember um 15.30 Uhr in Hörsaal 4 statt und wurde von PD Dr. Thomas Kück vom Institut für Ethik und Theologie (IET) an der Leuphana Universität Lüneburg moderiert.
Prof. Dr. Heike Düselder leitet das Museum Lüneburg. Sie stellte dar, dass sich auch in ihrem Archiv ungefähr 450 Gegenstände aus kolonialem Kontext befinden. Allerdings stammen diese Objekte nicht aus einer Sammlung. Vielmehr sind sie aus verschiedenen Regionen Afrikas nach Lüneburg gekommen und müssen in ihrer Provenienz zunächst erforscht werden, bevor über ihren weiteren Verbleib entschieden werden könne.
Prof. Dr. Susanne Leeb vom Institut für Philosophie und Kunstwissenschaft (IPK) an der Leuphana Universität Lüneburg richtete durch ihre Fragen das Interesse von der aktuell häufig debattierten Restitution aller kolonialen Gegenstände zu der darunter liegenden, größeren Thematik von Wissenstransfer und gleichberechtigtem Austausch von Wissen mit den Herkunftsgesellschaften. Hier stünden wir noch ganz am Anfang.
Dem stimmte Dyoniz Kindata aus Tansania zu. „Warum jetzt?“, so lautete eine seiner Fragen. Er begrüßte die jüngste Reise von Bundespräsident Steinmeier nach Tansania und die Entschuldigung, die er dort ausgesprochen habe. Das sei wichtig gewesen. Nun können weitere Schritte auf Augenhöhe folgen. Herr Kindata ist Kollegiat im DFG-Graduiertenkolleg "Kulturen der Kritik". In seiner Dissertation mit dem Arbeitstitel "Poetische und visuelle Imaginäre in der afrikanischen Kolonialzeitung Kiongozi in Deutsch-Ostafrika 1885-1918" beschäftigt er sich mit der Geschichte der deutschen Kolonien in Afrika. Durch die Analyse von Bildern, Geschichten und Gedichten verfolgt er koloniale Begegnungen der Menschen in ihren Erzählungen auf vielfältige Weise nach und will dadurch auch Afrikaner*innen Sichtbarkeit und eine Stimme geben.
Dass die gut besuchte Veranstaltung ein aktuelles Thema adressierte, zeigte sich in der regen Beteiligung der Anwesenden. Es wurden Fragen gestellt und eine breite Zustimmung signalisiert, den eingeschlagenen Weg der Museen und der Forschungsinstitute weiterzugehen.
Kontakt
- Prof. Dr. Thomas Kück