Konferenzwoche 2023: Die große Mitte

06.03.2023 Mit der Konferenzwoche schließt für die rund 1300 Erstsemesterstudierenden das Leuphana Semester. In diesem Jahr stand sie unter dem Motto „OUR TURN“. Namhafte Gäste aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft diskutieren mit den Studierenden über Freiheit, Menschenrechte und Erdpolitik in der Zeitenwende. Philosoph Richard David Precht und die Schriftstellerin Jagoda Marinić lieferten sich im Zentralgebäude einen differenzierten Schlagabtausch.

Marinić und Precht auf der Konferenzwoche 2023 ©Johann Floeter
„Wir dürfen den Krieg und Klimawandel nicht gegeneinander ausspielen. Wir müssen mit der Multikrisenhaftigkeit weiterleben“, konterte Jagoda Marinić beim Schlagabtausch mit Richard David Precht.

„Das Interesse an ernsthaften, starken Debatten ist gering geworden“, sagt Philosoph Richard David Precht im Zentralgebäude. Er sieht einen Grund in der veränderten Parteienlandschaft: „Früher war die Bundesrepublik in der Mitte gespalten in rechte und linke Positionen. Helmut Schmidt war der rechteste Linke und Norbert Blüm der linkeste Rechte“, erklärte Richard David Precht bei der Diskussion mit der Überschrift „Die Zukunft der Freiheit: die liberale Gesellschaft in der Krise“. Er sieht heute eine große Mitte, in der sich auch ehemals Oppositionelle wie die Grünen fänden. „Aber alles was nicht zur Mitte zugehört, wird exterritorialisiert“, sagte der Philosoph. Eine Debatte zwischen zwei Polen sei deshalb nicht mehr möglich. Die Schriftstellerin Jagoda Marinić glaubt an die Streitfähigkeit der Bundesrepublik: „Das müssen wir uns erhalten“, sagte sie am ersten Tag der Konferenzwoche 2023 im Zentralgebäude. Sie begrüßte auch diese Neuformierung der Mitte: „Es kommen Menschen hinzu, die vorher nicht in der Mitte zu finden waren.“ Sie plädierte für offene Debatten ohne die Gefahr etwa an den „Twitterpranger“ gestellt zu werden.

Auch die Waffenlieferungen an die Ukraine waren Thema des kontroversen und differenzierten Schlagabtausches. Richard David Precht attestierte dem deutschen Fernsehen ein zu einseitiges Bild: In jeder Talkshow säßen mehr Befürworter*innen der Waffenlieferungen als umgekehrt. „Dafür bekommen die Kritiker*innen mehr Redezeit“, konterte die Schriftstellerin und Theaterautorin. Jagoda Marinić moderiert zudem den Podcast „Freiheit Deluxe“. In Talkshows seien Argumente oft verkürzt und die Gespräche holzschnittartig. Außerdem dürften die Medien nicht genutzt werden, um Falschaussagen zu verbreiten. „Wir liefern der Ukraine nicht Waffen, um Russland zu zerstören, sondern damit Russland nicht die Ukraine zerstört“, fasste Jagoda Marinić zusammen.

Richard David Precht rückte eine weitere Krise den Fokus, den Klimawandel: „Wenn wir in die konfrontative Welt des 20. Jahrhunderts zurückgehen, dann haben wir verloren. Wir werden zunehmend mehr für Rüstung ausgeben müssen, aber kein Geld mehr haben, um die drohende Öko-Katastrophe zu verhindern. Wenn wir nichts tun, wird es in 50 Jahren für die Menschen keine Perspektive mehr geben.“

Jagoda Marinić konterte: „Wir dürfen den Krieg und Klimawandel nicht gegeneinander ausspielen. Wir müssen mit der Multikrisenhaftigkeit weiterleben.“

Bei der Konferenzwoche stellen die Studierenden ihre Ergebnisse aus dem Modul „Wissenschaft trägt Verantwortung“ vor. Es ist Teil des Leuphana Semesters. Im Rahmen von fachübergreifenden Modulen erarbeiten sich alle Erstsemesterstudierenden einen gemeinsamen Einstieg in ein wissenschaftliches Studium. Das Konferenzwoche und das Leuphana Semester sind Teil des einzigartigen Studienmodells am College. Zu den prominenten Gästen gehören die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats Alena Buyx, Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda, der deutsch-amerikanische Ökonom Rüdiger Bachmann, die Journalistin und Ärztin Gilda Sahebi, die Transformationsforscherin Maja Göpel, der Philosoph Richard David Precht und der Filmemacher Franz Böhm. Die Zukunftsstadt Lüneburg denken die Oberbürgermeisterin Claudia Kalisch sowie die Architektin Almannai Fischer weiter.