EU-Richtlinienentwurf zu Equal Gender Pay: Bissiger Tiger

22.03.2021 Einigen sich die Mitgliedsstaaten, müssen Arbeitgebende mit mehr als 250 Mitarbeitenden nach dem Willen der EU-Kommission zukünftig unter anderem offenlegen, wie groß die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen in ihren Unternehmen ist. Bei festgestellten Lohndifferenzen von mindestens 5 % müssten Untersuchungen eingeleitet werden. Die Gleichstellungsbeauftragte Dr. Kathrin van Riesen und Dr. Patrick Velte, Professor für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Accounting, Auditing & Corporate Governance erklären, warum der EU-Richtlinienentwurf tatsächlich für mehr Lohngerechtigkeit sorgen könnte.

Kathrin van Riesen und Patrick Velte ©Leuphana/Patrizia Jäger
Dr. Kathrin van Riesen und Dr. Patrick Velte erklären, warum der EU-Richtlinienentwurf tatsächlich für mehr Lohngerechtigkeit sorgen könnte.
Herr Professor Velte, der EU-Richtlinienentwurf fordert von Unternehmen nicht nur Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen offenzulegen. Zudem darf auch nicht mehr gefragt werden, wie viel jemand im vorherigen Job verdient hat und Arbeitnehmende sollen bei geschlechterspezifischer Lohndiskriminierung sogar entschädigt werden. Warum brauchen wir dieses neue EU-Gesetz?
Patrick Velte: Das in Deutschland im Jahre 2017 verabschiedete „Entgelttransparenzgesetz“ war bislang ein zahnloser Tiger und basierte auf einem Kompromiss zwischen den Regierungsfraktionen. Arbeitnehmende in Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten haben zwar einen individuellen Auskunftsanspruch, ihren Arbeitgebenden über die Bezahlung vergleichbarer Kolleg*innen zu befragen. Zudem müssen Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten, die handelsrechtlich verpflichtet sind, einen Lagebericht zu erstellen, einen Bericht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit verfassen. Die erste Evaluation des Gesetzes zeigt allerdings, dass von dem Auskunftsanspruch nur zögerlich Gebrauch gemacht wird. Der Entgeltsbericht muss leider nicht in die sonstigen Corporate Governance- und Nachhaltigkeitsinformationen des Unternehmens integriert und auch nicht geprüft werden. Insofern besteht die Gefahr eines „Pinkwashings“. Laut statistischem Bundesamt verdienen Frauen unbereinigt 19 Prozent und bei vergleichbarer Tätigkeit und Qualifikation immer noch rund sechs Prozent weniger als Männer. Die Bundesrepublik belegt damit EU-weit einen der schlechtesten Plätze trotz des eingeführten Entgelttransparenzgesetzes und der gesetzlichen Frauenquote im Aufsichtsrat. Kommt die neue EU-Richtlinie, werden Unternehmen tatsächlich stärker in die Pflicht genommen und müssen dann gegebenenfalls auch Gehaltslücken nachzahlen. Zudem liegt die Beweislast dann beim Arbeitgebenden. Es ist auch wichtig, dass für alle Mitgliedstaaten die gleichen Regeln gelten. Sonst kann es zu Abwanderungen von Unternehmen kommen. Ideal wäre deshalb eine weltweite Lösung, etwa durch explizite Vorgaben der OECD.
Warum ist die Gender Pay Gap gerade in Deutschland so groß?
Kathrin van Riesen: Frauen wird allgemein weniger Leistungsvermögen als Männern zugesprochen und klassisch weibliche Tätigkeiten werden niedriger bewertet. Zudem waren wichtigen Industrien in Deutschland früher oft mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden, wie etwa der Kohleabbau. Schon jetzt sind die geschlechtsspezifischen Lohnlücken in der EU unterschiedlich verteilt. Deutschland, Österreich und Lettland stehen sehr schlecht dar, die ehemaligen Staaten des Ostblocks sehr gut. Das hat auch historische Gründe. In den sozialistischen Ländern war es üblich, dass beide Geschlechter arbeiten gingen. In der Bundesrepublik hingegen verschärfen steuerliche Vorteile wie das Ehegattensplitting die ungerechte Situation weiter. Vom eigenen Einkommen der Frau bleibt oft nur wenig übrig. Erwerbsarbeit lohnt sich für sie weniger. Das Elterngeldgesetz hingegen unterstützt die Diversität etwas, da Väter zwei Monate in Elternzeit gehen müssen, damit überhaupt ein Anspruch auf volle Förderung entsteht. Je mehr Männer in Elternzeit gehen und vor allem je mehr sie Elternzeit für mehrere Monate in Anspruch nehmen, desto  größer ist der gesellschaftliche Beitrag zur Gleichstellung. Damit sinkt das Diskriminierungspotential von Frauen aufgrund von Mutterschaft.
Wirtschaftslobbyisten werden sicherlich gegen die EU-Richtlinie argumentieren, dass Unternehmen nicht noch mehr durch derartige Regelungen gegängelt werden dürfen…
Patrick Velte: Bei dieser Betrachtung werden nur die Risiken einer künftigen Gender Pay-Regulierung einbezogen: Ausgeweitete (Gender) Diversity Management-Konzepte und Berichtspflichten kosten zwar zunächst Geld bei der Implementierung und schränken aus Sicht vieler Vorstände zunächst die unternehmerische Freiheit ein. Dabei stellen erfolgreiche (geschlechtliche) Diversitätsstrategien auch einen zentralen unternehmerischen Werttreiber dar. Die betriebswirtschaftliche Forschung hat u.a. gezeigt, dass Vorständinnen die Nachhaltigkeitsleistung, u.a. auch die Klimaperformance, von börsennotierten Unternehmen erhöhen können. Investor*innen und andere Stakeholder sind heute sehr gut informiert und legen mehr Wert auf soziale und umweltgerechte Unternehmensführung. Legales Handeln ist aus ihrer Sicht nicht immer legitim. Wer unethische Gewinne über längere Zeit einstreicht, kann deshalb bei entsprechend exponierter Stellung mit Shitstorms in den Social Media oder mit einem Medien-Bashing abgestraft werden. Hierdurch ist dann auch die finanzielle Performance in Gefahr. Ich erinnere nur an den umstrittenen Aufkauf von Monsanto durch den Bayer-Konzern. Beim Thema soziale und umweltbedingte Nachhaltigkeit ist richtig Mediendruck auf dem Kessel. Mit einem freiwilligen nachhaltig orientierten Compliance-Management-System können Unternehmen Reputationsrisiken aus dem Weg gehen. Hier stehen viele Unternehmen noch am Anfang. Ein klug durchdachtes und transparentes Diversitätskonzept ist dabei zentral.
Die Corona-Pandemie wird immer wieder als Brennglas für drängende Probleme bezeichnet. Wo sollten wir beim Thema Gleichstellung genauer hinschauen?
Kathrin van Riesen: Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung hat die Publikationsleistung von Wissenschafter*innen mit und ohne Kind während der Corona-Pandemie untersucht. Die Ergebnisse sind eindeutig: Gerade Professorinnen mit Kind haben deutlich weniger veröffentlicht als Professoren mit und ohne Kind. Betreuungsarbeit wog auch schwerer als etwa zusätzliche Vorbereitungen etwa für die Online-Lehre. Durch die Pandemie fallen wir teils wieder in alte Rollenbilder zurück. Die Hauptlast der Sorgearbeit liegt auch jetzt verstärkt bei den Frauen. Das basiert häufig auch darauf, dass sie bereits innerhalb der Familienkonstellation die Teilzeitbeschäftigung haben und der Mann mit dem Einkommen einer Vollzeitstelle größere Quelle des Familieneinkommens darstellt. So wird dann auch in Krisenzeiten, auf die Aufrechterhaltung dieses Einkommens mehr wertgelegt. Das führt effektiv aber zu einer stärken Belastung der Frauen, die versuchen Sorgearbeit, Berufstätigkeit ohne die bisherigen Betreuungsstrukturen zu bewältigen. Aber auch bereits vor Corona gab schon strukturelle Benachteiligungen für Frauen auf ihren Karrierewegen. Jetzt werden Frauen in der Wissenschaft aber noch unsichtbarer.
Wann könnte der EU-Richtlinien-Entwurf zur Gender Pay Gap rechtlich relevant werden?
Patrick Velte: Ich rechne nicht mehr in diesem Jahr mit einer Verabschiedung der Richtlinie, obwohl Ursula von der Leyen das Thema zur Chefinnensache erklärt hat. Die Einigung zwischen den 27 Mitgliedstaaten dauert erfahrungsgemäß lang. Die vor einigen Jahren geplante EU-Richtlinie zur Einführung einer Frauenquote in den Aufsichtsräten von 40% bis 2020 wurde auch im Rat blockiert, u.a. auch damals von Deutschland. Auch bei der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung aus dem Jahre 2014 hatte die Bundesregierung viele Freiheitsgrade genutzt und an die Unternehmen weitergereicht. Wir erwarten in den kommenden Wochen einen neuen Richtlinienentwurf mit mehr Biss zum Sustainability Reporting auf EU-Ebene, um das Greenwashing einzudämmen.Auch diskutiert die EU-Kommission derzeit im Zuge des Green Deal-Projekts eine Regulierung der nachhaltigen Unternehmensführung inkl. eines nachhaltigen Lieferkettenmanagements. Insofern gilt das Motto: Sustainable Corporate Governance-Regulierungen ante portas!

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