Bundesregierung plant staatliche Schiedsgerichte

PROF. DR. HOHLBEIN IM INTERVIEW

07.12.2023 Werden neue Schiedsgerichte, sogenannte Commercial Courts, den Justizstandort Deutschland voranbringen? Die Bundesregierung hat aktuell einen Gesetzesentwurf vorgelegt, mit dem der Schiedsgerichtsstandort Deutschland gestärkt und international sichtbarer werden soll. In diesem Interview skizziert Prof. Dr. Bernhard Hohlbein die Entwicklung und benennt seine Zurückhaltung gegenüber dem Gesetzesvorhaben.

©Mathias Paulokat
„Deutsche Zivilverfahren werden als kompliziert, langdauernd und teuer wahrgenommen. Allein die Vorschriften der Zivilprozessordnung umfassen 1120 Paragrafen.“
Herr Prof. Hohlbein, angesichts der internationalen Verflechtungen der deutschen Wirtschaft und der damit vermutlich einhergehenden Rechtsstreitigkeiten, klingt es doch wie eine gute Idee, kontroverse Rechtsauffassungen mit dem Willen zur Einigung vor Schiedsgerichten zu erörtern.

 

Ja, das ist grundsätzlich richtig, zumal die klassische Alternative, der Zivilprozess, zwangsläufig streitig angelegt ist. Und das in bis zu drei Instanzen. 

 

Um was genau geht es nun in dem neuen Gesetzesentwurf?

Mit dem Regierungsentwurf zum „Justizstandort-Stärkungsgesetz“ – der Titel ist etwas sperrig – ist geplant, das Schiedsverfahrensrecht zu modernisieren und unter anderem englischsprachige staatliche Schiedsverfahren bei den Oberlandesgerichten in Spezialsenaten, Commercial Courts, zu ermöglichen. 

 

Diese neuen Senate sollen erstinstanzlich zuständig sein für bestimmte aufgelistete bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern sowie für Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Unternehmens. Die Commercial Courts sind unabhängig vom normalen Gerichtsaufbau und können von den Parteien frei vereinbart werden, wenn der Streitwert mindestens eine Million Euro beträgt. Die Verfahren können optional in der internationalen Handelssprache auf Englisch geführt und gegebenenfalls auch vor dem BGH auf Englisch weitergeführt werden. 

Also Anwendung deutschen Rechts in englischer Sprache, maximal zwei staatliche Instanzen – und das bei voller richterlicher Unabhängigkeit?

Ja, damit können Schiedsverfahren zukünftig auch vor staatlichen Gerichten mit der anerkannten Kompetenz deutscher Richter zügig durchgeführt werden. Und im Gegensatz zu privaten Schiedsrichtern sind staatliche Richter nur dem Gesetz unterworfen. 

Warum kommt das Gesetz jetzt?

Zum einen geht die Gesetzesinitiative auf den aktuellen Koalitionsvertrag zurück, wonach englischsprachige Kompetenz für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten geschaffen werden soll. Und zum anderen spielt der Trend eine Rolle.

Moment, Trend? Was meinen Sie damit?

Nun, in den letzten 20 Jahren hat sich die Anzahl der jährlichen zivilrechtlichen Neuzugänge in den beiden Eingangsinstanzen um knapp 50% reduziert. Etwa zeitgleich haben alternative Formen der Streitschlichtung, man spricht insoweit von Alternative Dispute Resolution (ADR), an Bedeutung gewonnen. Dabei geht es insbesondere um Wirtschaftsmediation und Schiedsgerichtsverfahren.

Können Sie konkrete Fallzahlen nennen?

Obwohl die Zahl der zivilrechtlichen Neuzugänge bei den Amts- und Landgerichten zurückgegangen ist, betragen sie derzeit jährlich etwa 1.000.000. Die Anzahl verhandelter Schiedsgerichtsfälle vor diversen Schiedsgerichten war – soweit ersichtlich – sehr gering, ist substantiell gestiegen und bewegt sich nun im untersten einstelligen Prozentbereich der Fälle, die vor den Zivilgerichten verhandelt werden.

Aber dann sind die ADR-Verfahren doch eher unwesentlich, oder?

Jein, das würde ich so nicht sagen. Dafür ist der ADR-Trend zu deutlich. 

Wenn es also diese Entwicklung gibt, was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für das zunehmende konsensuale Streitdurchsetzungsverhalten?

Deutsche Zivilverfahren werden als kompliziert, langdauernd und teuer wahrgenommen. Allein die Vorschriften der Zivilprozessordnung umfassen 1120 Paragrafen. ADR-Verfahren sind in der Regel vertraulich, was zwar einer transparenten Rechtsentwicklung nicht hilft, aber die Verfahren können schnell, preiswert und selbstbestimmt sein. 

Aber dann ist es doch ein gutes Vorhaben, dass der Bundesgesetzgeber bei den Schiedsgerichten international Flagge zeigen möchte. 

Ja, die Absicht ist zu begrüßen.

Höre ich da eine gewisse Zurückhaltung?

Der Bund hat aufgrund der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit die Gesetzesinitiative an sich gezogen und einen Gesetzesentwurf vorgelegt, den die Bundesländer nun optional umsetzen können. Damit sieht der Bund tatkräftig aus, muss sich aber nicht selbst an die mühsame Umsetzung machen. 

 

Jetzt sollen also die Länder dafür sorgen, den Gerichtsstandort Deutschland zu stärken und ihm im internationalen Wettbewerb mit ausländischen Handels- und Schiedsgerichten Anerkennung und Sichtbarkeit verleihen. Ob das allerdings allein mit einem Gesetz erreicht werden kann, ist fraglich. 

Das klingt beinahe nach einem „Vertrag zu Lasten Dritter“, beziehungsweise nach der zuletzt öfter beobachteten Zuweisung von Aufgaben in unserem föderalen System. Was genau sind Ihre Vorbehalte? 

Zunächst zu Ihrer Vertragsanmerkung: Ich kann nachvollziehen, dass die Gesetzgebungsmechanik an einen Vertag zulasten Dritter erinnert. Der zivilrechtliche Begriff passt hier aber nicht, da der Bund den Ländern die Umsetzung als Option anbietet – die kann man annehmen oder nicht.

 

Nun zu dem Vorbehalt. Bei den Oberlandesgerichten müssen Spezialsenate von Grund auf neu eingerichtet werden. Zwar haben die Länder in einer ersten Einschätzung die Mehrkosten für die Realisierung der Reform als geringfügig bewertet. Das könnte sich jedoch als optimistisch erweisen. Schließlich ist im Detail vieles zu bedenken: Es braucht räumliche Gegebenheiten auf höchstem technischen Niveau, es darf keine personellen Engpässe geben, eine Vielfalt von Sachmaterien muss abgedeckt werden, herausragende Englischkenntnisse bei Richtern und Justizpersonal sind erforderlich und es gilt, die administrativen Einschränkungen durch die Behördenorganisation zu überwinden. 

Ich stelle mir gerade vor, wie das wohl sein mag, wenn man nachmittags um drei Uhr beim Gericht anruft, Englisch spricht und zuständigkeitshalber mit dem Commercial Court verbunden werden möchte. Was also ist Ihrer Meinung nach zu tun?

Zu viele Bundesländer könnten aus falsch verstandenem Ehrgeiz einen Commercial Court etablieren wollen. Hier gilt es, einen überambitionierten Länder-Flickenteppich zu vermeiden. Erstrebenswert wären einige wenige, vielleicht eine Handvoll komfortabel ausgestatteter Commercial Courts und ein technisches Upgrade der Amts- und Landgerichte. Ein solcher „Doppelwumms“ ist mangels Masse allerdings nicht zu erwarten. Wahrscheinlicher ist eine Schaufensterlösung für Commercial Courts (Champions League) einerseits und andererseits digital darbende erstinstanzliche Gerichte (Bundesliga), die sich allerdings um 99% der Fälle kümmern. Ohne eine dem Ehrgeiz des Bundes entsprechende Finanzierung der Länder wird die erfolgreiche Umsetzung des Gesetzesvorhabens eine Herausforderung. Und dafür sei allen Beteiligten jeder Erfolg gewünscht!

Vielen Dank für das Gespräch!         

Die Fragen stellte der Lüneburger Alumnus Mathias Paulokat, MBA. Der Diplom Wirtschaftsjurist (FH) ist Pressesprecher im Bankgewerbe.

Der Artikel, der zu diesem Gespräch geführt hat, ist im Schwerpunktheft Rückversicherung der Zeitschrift für Versicherungswesen, ZfV, 2023, Heft 21, S. 620 ff veröffentlicht worden und umfasst dort auch Erst- und Rückversicherungsaspekte.

Hier finden Sie weitere Infos zu Prof. Dr. Bernhard Hohlbein sowie zur Leuphana Law School.