Neu an der Leuphana - Prof. Dr. Astrid Séville: „Staatstragende Flapsigkeit“

17.04.2024 Die Professorin für Politikwissenschaft, insbesondere Politische Theorie, beschäftigt sich unter anderem mit politischer Kommunikation und Repräsentation. Dabei untersucht sie auch die Sprache von Politiker*innen wie etwa Robert Habeck.

Prof. Dr. Astrid Séville ©Leuphana/Teresa Halbreiter
„Mir gefällt diese große Kollegialität an der Leuphana. Das ist nicht selbstverständlich und erleichtert das gemeinsame Forschen“ erzählt Prof. Dr. Astrid Séville.

Politische Repräsentation wandelt sich: „In der Politikwissenschaft diskutieren wir seit geraumer Zeit über eine Krise der Repräsentation. Parteibindungen etwa sind brüchig geworden. Es ist auch nicht mehr klar, welche politische Identität jemand hat, zu welchem Milieu er sich zugehörig fühlt. Darauf müssen Parteien und allgemein Politiker*innen reagieren“, erklärt Astrid Séville. Im Forschungsprojekt Re/Präsentation untersucht die Politikwissenschaftlerin gemeinsam mit Prof. Dr. Julian Müller, Gastprofessor am Institut für Politikwissenschaft an der Leuphana, und dem Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Christian Kirchmeier von der Universität Bremen, moderne Formen der politischen Fürsprache und Ansprache. „In den sozialen Medien etwa können die Bürger*innen sich selbst präsentieren. Selbsterzählungen zeugen von einer Form der Politisierung, etwa wenn zum eigenen Plastikverzicht oder Veganismus gepostet wird“, erklärt Astrid Séville.

Die Forscherin interessieren aber auch Selbsterzählungen von Politiker*innen: „Es gibt ein Genre politischer Selbstzeugnisse, etwa Bücher, in denen Politiker*innen davon erzählen, wie sie zu ihrer Politik gekommen sind.“

Re/Präsentation geht von der These aus, dass der Wandel der politischen Repräsentation und der Wandel politischer Selbst-Präsentation nicht nur zeitgleich stattfinden, sondern aufeinander bezogen sind. Die Forschungsgruppe untersucht deswegen das Wechselverhältnis medialer Formen einer Präsentation von Subjekten und ihrer politischen Repräsentation.

Das Forschungsprojekt „Re/Präsentation“ wird von der Gerda Henkel Stiftung gefördert.

Vor kurzem erschien Astrid Sévilles gemeinsam mit Julian Müller verfasstes Buch „Politische Redeweisen“. Darin ist auch ein Kapitel zu Robert Habeck enthalten. Astrid Séville und ihr Kollege Julian Müller nahmen mitunter die Szene zum Anlass, als der Wirtschaftsminister mit wehendem Schlips in Katar stand und zur deutschen Bevölkerung sprach: „Ich bin jetzt in Doha. Am zweiten Tag einer Reise, die total merkwürdig ist. In der Ukraine sterben die Menschen und hier, seht ihr ja, wie hier die Skyline ist.“ Robert Habeck duzt seine Zuschauer, spricht über seine Empfindungen und berichtet von Gesprächen mit dem Emir über Energielieferungen.

Die beiden Autoren attestieren Habeck eine „staatstragende Flapsigkeit“: „Im heute-Journal sagte Robert Habeck plötzlich ,Kriegst du nicht, Alter‘. Zugleich beruft er sich oft mit großem Pathos auf seinen Amtseid. Wir erkennen aber nicht nur bei Robert Habeck paradoxe Kopplungen“, sagt die Politologin.

In einem weiteren Projekt beschäftigt sich die Politikwissenschaftlerin mit der Semantik des Verzichts. „Wir fragen, wie westliche Wohlstandsgesellschaften um den Begriff des Verzichts ringen. An die Idee des wirtschaftlichen Schrumpfens sind wir nicht gewöhnt“, erklärt die Forscherin. Das Projekt an der Bayrischen Akademie der Wissenschaften führt sie als korrespondierendes Mitglied fort. Zur Semantik des Verzichts soll ein Sammelband erscheinen.

Auch der Transfer ihrer Forschung in die Öffentlichkeit und in die Politik ist für sie Teil ihrer Arbeit. Immer wieder ist sie im politischen Berlin, so etwa im Bundeskanzleramt und im Bundespräsidialamt.

Astrid Séville hat sich bewusst für die Leuphana entschieden. „Mir gefällt diese große Kollegialität an der Leuphana. Das ist nicht selbstverständlich und erleichtert das gemeinsame Forschen.“ In der Lehre überzeugen sie die Studierenden: „Das Leuphana Semester entfaltet durchaus eine Wirkung: Die Studierenden im Bachelor verstehen, dass ein Seminarraum kein Klassenzimmer ist. Sie sind kritisch und wach.“

Astrid Séville studierte Politikwissenschaft, Historische Anthropologie und Romanistik in Freiburg und Paris. Nach dem Magister Artium war sie von 2011 bis 2015 Promotionsstipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes. Für ihre Dissertation erhielt sie 2016 den Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung. Astrid Séville war ab 2012 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der LMU. Seit 2017 war sie dort am Lehrstuhl für Politische Theorie Akademische Rätin auf Zeit. 2014 besuchte sie als Visiting Fellow das Centre des Études européennes (CEE) der Sciences Po in Paris sowie 2015 das Centre for the Study of the History of Political Thought der Queen Mary University London. 2016 bis 2020 war sie Mitglied der Jungen Akademie Mainz; 2018 wurde sie in das Junge Kolleg der Bayerischen Akademie der Wissenschaften mit dem Forschungsschwerpunkt „Die Provokation der liberalen Demokratie. Phänomenologie des Antipopulismus“ aufgenommen. Hier schied sie mit ihrem Dienstantritt an der Leuphana aus. 2018 bis 2022 leitete sie gemeinsam mit Prof. Dr. Karsten Fischer (LMU) das Drittmittelprojekt „Antipopulismus: Wissenstransfer und Handlungsstrategien in der politischen Bildungsarbeit“ im vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst finanzierten Forschungsverbund „Zukunft der Demokratie“. Im Wintersemester 2023/24 wurde sie Professorin für Politikwissenschaft, insbesondere Politische Theorie an der Leuphana Universität Lüneburg.

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