Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Vera Uppenkamp – „Religiöse Bildung ist queer veranlagt“

10.06.2024 Die Religionspädagogin forscht zu Armutssensibilität, Bildungsgerechtigkeit, queerer Theologie und inklusiver Religionspädagogik. Ein moderner Religionsunterricht lebt für Vera Uppenkamp vor allen Dingen von reflektierten Lehrkräften.

Neu an der Leuphana: Prof. Dr. Vera Uppenkamp – „Religiöse Bildung ist queer veranlagt“ ©Leuphana
„Wenn sich Religionsunterricht nicht selbst abschaffen möchte, dann muss er auch in dieser Hinsicht pluralitätsfähig sein", sagt Vera Uppenkamp und liest The Queer God von Marcella Althaus-Reid.
Ist Religionsunterricht noch zeitgemäß?
Als menschliches Geschöpf bin ich mehr als Zahlen und Daten. Es bleibt das Un(be)greifbare. Religionsunterricht hilft Schüler*innen, sprachfähig zu werden und ins Gespräch über Religion und Sinnfragen zu kommen. Das ist eine wichtige Entwicklungsaufgabe, die professionell begleitet werden sollte. Deswegen spreche ich mich für Religionsunterricht in der öffentlichen Schule aus. Religiöse Bildung in der Schule braucht dabei immer auch die Möglichkeit zu sagen: „Danke für das Angebot, aber das ist nichts für mich.“   
Sie haben sich in Ihrer Forschung insbesondere mit armutssensiblem Religionsunterricht beschäftigt. Ist die Bibel nicht per se armutssensibel?
In der Grundschule geht es im Religionsunterricht oft um das Thema Teilen und Helfen. Meist werden dafür biblische Geschichten erzählt, die eher die adressieren, die teilen und helfen können. Also diejenigen, die sich ohnehin schon in einer privilegierten Position befinden. Ich sehe das problematisch. Armut wirkt sich in vielfältiger Weise auf die Lebens- und Lernbedingungen von Kindern aus. Nicht selten wird das in der Didaktik unter den Tisch geschoben. Dem wollte ich etwas entgegensetzen.
 Wie wichtig ist hierbei die Reflexionsebene?
Der Soziologe Pierre Bourdieu spricht von einem Habitus: Ein bestimmtes Denken und Handeln ist so verinnerlicht, dass es in jedes Setting unbewusst hineingetragen wird – auch in den Religionsunterricht. Deswegen brauchen wir stark reflektierte Lehrkräfte: Welche Vorstellungen und Werte transportiere ich in den Klassenraum? Ich bin selbst in einem bildungsbürgerlichen Haushalt groß geworden und in vielen Teilen privilegiert aufgewachsen. Deswegen habe ich mich auch gefragt: Bin ich überhaupt die richtige Forscherin für das Thema? Ich möchte ungern für andere sprechen. In meiner Forschung habe ich einen Zugang gewählt, der über die Ebene der Selbstreflexion führt und Ansätze von marginalisierten Personen nutzt, wie etwa die Befreiungstheologie.   
Wie kann ein armutssensibler Religionsunterricht inhaltlich aussehen?
Ich mag das Lukas-Evangelium. Dort geht es sehr viel um Gesellschaftskritik; um Fragen von Geld, Besitz und Verteilung. Eine Geschichte dreht sich etwa um die Frage, wen man eigentlich zu einem Gastmahl einladen soll. Die Freund*innen und Nachbar*innen, die mich zurück einladen können? Oder Menschen, die sich nicht erkenntlich zeigen können? Die Stelle Lukas 14,12-14 ist insofern interessant, weil sie so unterschiedlich gedeutet werden kann: Einerseits zeigt sie, dass Menschen unabhängig davon, was sie geben können, zur christlichen Gemeinschaft gehören. Aber die Stelle wird auch als feindlich gegenüber Benachteiligten ausgelegt. Wenn man weiterliest, heißt es sinngemäß: Wer die Armen einlädt, dem wird es im Himmelreich vergolten. Werden Benachteiligte also nur fürs eigene Seelenheil benutzt? In einem armutssensiblen Unterricht kann man diese Stelle und ihre Deutungsmöglichkeiten gut diskutieren.
Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung auch mit queerer Theologie. Auf welche Bibelstellen bezieht sich diese Denkrichtung?
Menschen, die sich gegen Homosexualität aussprechen, nutzen häufig aus dem Zusammenhang gerissene Bibelstellen für ihre Argumentation. Genauso falsch wäre eine queere Theologie, die sich wieder nur auf einzelne Bibelstellen bezieht. Es geht vielmehr um ein Gesamtverständnis der Bibel. Das Buch ist in gesellschaftlichen Strukturen entstanden, die an vielen Stellen anders als heute waren, aber auch manche Parallelen aufweisen. Durchgehend ist eine hegemoniale Männlichkeit, die sich zum Beispiel in der Bezeichnung von G*tt als Vater, Sohn und Heiliger Geist ausdrückt. Queere Theologie schaut mit einem anderen Blick auf das Wirken G*ttes und das biblische Zeugnis darüber. An vielen Stellen bricht zum Beispiel Jesus in seinem Handeln mit den damals gültigen gesellschaftlichen Normen. Er begegnet ausgestoßenen, kranken oder als Sünder bezeichneten Menschen. Ausgehend von dem Verständnis einer kontextuellen Theologie verstehe ich Queersein nicht nur als geschlechts- und sexualitätsbezogenes Selbstkonzept, sondern als erkenntnistheoretischen Standort. Religiöse Bildung als kritische und dekonstruierende Praxis, die Normativität reflektiert, ist für mich queer. Wenn sich Religionsunterricht nicht selbst abschaffen möchte, dann muss er auch in dieser Hinsicht pluralitätsfähig sein.
Vielen Dank für das Gespräch!

Vera Uppenkamp studierte an der TU Dortmund die Fächer Mathematik und Evangelische Theologie für das Lehramt an Grundschulen. 2020 promovierte sie zu „Kinderarmut im Religionsunterricht“ an der Universität Paderborn und war dort von Oktober 2016 bis März 2024 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Evangelische Theologie tätig. Seit dem Sommersemester 2024 ist sie Juniorprofessorin für Evangelische Religionspädagogik am Institut für Ethik und Theologie der Leuphana Universität Lüneburg. Sie ist im Vorstand der deutschen Sektion der Europäischen Gesellschaft für theologische Forschung von Frauen (ESWTR).

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