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Wissenschaftler im Porträt: Prof. Dr. Jan Müggenburg – „Der kleine Funken Optimismus“

23.01.2023 Seit Herbst 2022 ist Jan Müggenburg ordentlicher Professor für Digitale Kulturen am Institut für Kultur und Ästhetik Digitaler Medien (ICAM). Als wissenschaftlicher Mitarbeiter hat er bereits ab 2010 den Aufbau des ICAM sowie des damals neuen Bachelorstudiengangs „Major Digital Media“ am Leuphana College mitgeprägt. Im Rahmen der neuen Professur leitet er nun diesen Studiengang und ist Sprecher des Centre for Digital Cultures. In seiner aktuellen Forschung beschäftigt er sich mit medientechnischen Barrieren innerhalb digitaler Kulturen, insbesondere aus der Perspektive von Menschen mit Behinderung.

©Leuphana/Marie Meyer
„Ich empfand es als unbefriedigend, aktuellen Phänomenen hinterherzurennen und mir oberflächliche Deutungen abzuringen, ohne wirklich zu begreifen, woher bestimmte Entwicklungen eigentlich kommen“, sagt Jan Müggenburg.

Jan Müggenburg ist seit Oktober 2022 ordentlicher Professor für Digitale Kulturen an der Leuphana Universität. Nachdem er 2010 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter von der Universität Wien an die Leuphana Universität wechselte, trug er zum Aufbau des ICAM sowie des Bachelorprogrammes „Major Digital Media“ bei. Bereits seit seiner Magisterarbeit an der Ruhr-Universität Bochum steht die Geschichte des Computers im Fokus seiner Forschung. Seit einigen Jahren konzentriert sich der Medienwissenschaftler vor allem auf die Perspektive von Anwender*innen mit Behinderung – ein „bislang noch weitgehend vernachlässigter Teil der Computergeschichte“, sagt Müggenburg. Als Vater eines schwerbehinderten Sohnes lässt er dabei seine eigene Behinderungserfahrung in seine Projekte einfließen.

Was gesellschaftlich überhaupt als Behinderung aufgefasst wird, ändere sich nicht zuletzt mit dem technischen Fortschritt. „Oft begegnet man der populären Erzählung, dass die moderne Technik Behinderung überwinden oder über kurz oder lang ganz abschaffen werde. Solche Versprechungen werfen aus medien- und kulturwissenschaftlicher Sicht natürlich alle möglichen Fragen auf“, sagt Müggenburg. Zum einen widersprächen sie der Erfahrung von Menschen mit Behinderung, für die z.B. am Arbeitsplatz durch den technologischen Fortschritt neue Barrieren entstehen: „Technologien, die entwickelt wurden um digitale Teilhabe zu ermöglichen, können für behinderte User*innen neue Barrieren bedeuten“, sagt Müggenburg, „zum anderen stellt sich die Frage, ob Behinderung überhaupt als ein Defizit verstanden werden muss, das es grundsätzlich zu beheben gilt.“ Der Versuch, das „Problem Behinderung“ durch Technik „zu lösen“ spreche der Behinderungserfahrung ihre Bedeutung und ihren Wert ab.

Diese neue Forschungsperspektive, so Jan Müggenburg, habe ihm geholfen, auf eine neue und originelle Art über Fragen nachzudenken, die ihn schon lange beschäftigen – vor allem wenn es um die Verbindung von medienwissenschaftlichen und philosophischen Themen geht. Der 45-Jährige hat in Bochum sowohl Film- und Fernsehwissenschaften als auch Philosophie studiert. In einem aktuellen Aufsatz befasst sich Müggenburg mit der Technologie der Augensteuerung: Kameras, die Augenbewegungen analysieren und in Eingabesignale für die Computerbedienung übersetzen. Die Technologie hat als passives Eye-Tracking begonnen und ist zum Beispiel in der Werbepsychologie eingesetzt worden. In den 1980er Jahren wurde sie dann im Bereich der Unterstützten Kommunikation gezielt für Menschen mit Behinderung weiterentwickelt: von einer passiven Technologie zum aktiven Mittel für die alternative Computerbedienung („Eye-Control“). Mittlerweile, sagt Müggenburg, ist die Technologie so weit fortgeschritten, dass sie in den nächsten Jahren zu einem Standard-Interface der Computerbedienung avancieren könnte – etwa im Bereich von Virtual Reality-Anwendungen. Sowohl die Faszination für die Entstehungsgeschichte derartiger Technologien als auch das Interesse an philosophischen Fragen, die mit dem technischen Fortschritt einhergehen, treiben Jan Müggenburg in seiner Forschung an: Wie verändert sich etwa das Verhältnis von Mensch und Technik, wenn wir unsere hochtechnisierten Umgebungen durch kleinste Augenbewegungen steuern können?

Dass ein Blick in die Vergangenheit für ein besseres Verständnis der Gegenwart unabdingbar ist, hat Jan Müggenburg bereits während des Studiums erkannt. Die rasante Entwicklung des technischen Fortschritts werfe fortwährend vermeintlich neue Fragen auf, die zum Beispiel im Feuilleton heiß diskutiert werden. Aber viele dieser Fragen seien im Laufe der Technikgeschichte schon längst gestellt – und auch beantwortet worden: „Ich empfand es als unbefriedigend, aktuellen Phänomenen hinterherzurennen und mir oberflächliche Deutungen abzuringen, ohne wirklich zu begreifen, woher bestimmte Entwicklungen eigentlich kommen“, sagt Müggenburg. Nach seiner Magisterarbeit widmete sich der Medienwissenschaftler ab 2006 in einem Graduiertenkolleg an der Universität Wien seinem Promotionsprojekt zum „Biological Computer Laboratory“ und fand dabei heraus, dass Künstliche Intelligenz – sowohl damals als auch heute – eng mit der Frage menschlicher Wahrnehmung verknüpft ist. Das Labor an der University of Illinois begann schon in den 1960er Jahren, im Kontext der Kybernetik und am Vorbilder der Natur orientiert, mit sogenannten biologischen Computern zu experimentieren. „Dort prägte man den Begriff der Bionik, den wir noch heute verwenden“, erklärt er. Die Maschinen, die bei den Experimenten entstanden, sollten dem damaligen technischen Stand weit voraus sein. Aber: „Diese biologischen Computer haben zum Teil gar nicht das gekonnt, was ihre Konstrukteure von ihnen behauptet haben,“ sagt Müggenburg, „sie haben bloß den Anschein erweckt, dass sie es können. Sie wurden konstruiert, um von Menschen als intelligent wahrgenommen zu werden. Das trifft auch auf die heutige KI-Forschung zu.“ Ob die Maschinen wirklich intelligent sind oder nicht: Viel wichtiger sei, ob sie für intelligent gehalten werden. „Diese Wahrnehmung kann man mit allen möglichen rhetorischen und technischen Mitteln erzeugen“, sagt Müggenburg.

Was genau derartige Mittel sein können und wie man diese einsetzt, erfahren Studierende – neben vielen anderen Inhalten – im Bachelorstudiengang Digital Media. Jan Müggenburg ist Studienprogrammleiter des Majors. Am Ende ihres Studiums sollen dessen Absolvent*innen zwei Dinge mit auf den Weg bekommen haben: Sowohl ein fundiertes und reflektiertes Verständnis von der Geschichte und Gegenwart digitaler Kulturen als auch das gestalterische „Handwerkszeug“, um selbst einen positiven Beitrag in jener Welt zu leisten. „Ich erhoffe mir, dass wir durch den Studiengang einen Unterschied machen, indem die Studierenden wissen, dass das, was sie da tun, eine Geschichte hat und in komplexe gesellschaftliche Zusammenhänge eingebettet ist. Das sind Einblicke, die man in einem reinen Informatik-Studium nicht erhält“, sagt Müggenburg. Der Medienwissenschaftler plädiert für „den kleinen Funken Optimismus“, wenn es um die zukünftige Gestaltung der digitalen Welt geht. „Mittlerweile sollte allen klar sein, dass uns die digitalen Medien nicht automatisch in eine neue Hochzeit der Demokratie führen werden, wie viele das in den 1990er Jahren noch prognostiziert haben“, sagt Müggenburg. Er wünsche sich, dass die Studierenden sich trotzdem nicht in die rein geisteswissenschaftlich-analytische, kapitalismus- und technikkritische Ecke zurückziehen, in der man zwar die Mittel hat, Probleme der digitalen Welt zu erkennen, aber nicht die Mittel, um etwas an ihnen zu ändern. Stattdessen hoffe er, dass sie nach ihrem Abschluss beide Fähigkeiten kombinieren und so aktiv daran mitwirken, digitale Kulturen zumindest ein Stückweit zu einem lebenswerteren Raum zu machen, als sie es gerade sind – als reflektierte und für die Geschichte digitaler Kulturen sensibilisierte Führungskräfte in der Medienwelt.

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