Verhaltensökonomik: Wie tickt der Mensch, wenn sich seine Lebenswelt verändert?

Und was tut er, wenn seine Entscheidung Auswirkungen auf andere hat?

27.08.2024 Wie wirken sich Transformationsprozesse auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen aus? Dies ist die Kernfrage, mit der sich die Forschenden des Wissenschaftsraums „Verhaltensökonomik und gesellschaftliche Transformation“ beschäftigen.

Es ist eine alltägliche Situation mit gesellschaftlichen Folgen: In Geschäften überlegen wir, was wir kaufen. Wie aber entscheiden wir uns? Kaufen wir das günstige Produkt, das andere Menschen unter schlechten Arbeitsbedingungen hergestellt haben? Oder nehmen wir lieber eines, das etwas mehr kostet, aber unter fairen Arbeitsbedingungen entstanden ist? Anhand dieses Beispiels schildert Mario Mechtel, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Leuphana, die Forschung im Wissenschaftsraum „Verhaltensökonomik und gesellschaftliche Transformation“. Er ist Sprecher des Projekts, das im Verbund mit den Universitäten Hannover, Göttingen, Vechta, Clausthal, Osnabrück und Oldenburg umgesetzt wird. Zur Forschergruppe zählt auch das Fraunhofer Institut für Angewandte Informationstechnik (FIT), St. Augustin. An der Leuphana arbeiten auch die Professor*innen Luise Görges und Johannes Lohse mit im Wissenschaftsraum.

Warum ist diese Forschung aktuell so wichtig? Die Menschheit befindet sich in verschiedenen Transformationsprozessen, verursacht beispielsweise durch die Klimakrise. Diese spiegeln sich im menschlichen Verhalten wider, wie dem Konsum oder dem Wahlverhalten. Dieses ist von verschiedenen Faktoren abhängig, wie zum Beispiel den individuellen finanziellen Möglichkeiten, dem Wohnort, dem Geschlecht oder der Risikoeinstellung. Die Forscher*innen des Wissenschaftsraums Verhaltensökonomik wollen deshalb das Verhalten heterogener Akteur*innen analysieren.

Im Zentrum steht die Analyse der durch Transformation ausgelösten Verhaltensänderungen und Veränderungen ökonomischer Ergebnisgrößen – wie Arbeitsmarktbedingungen, Wohlstand und Ungleichheit – sowie deren Wechselwirkungen. Bezogen auf die Situation in Geschäften setzen die Forscher*innen ihre Proband*innen dafür in verschiedene Versuchsanordnungen: Was tun sie, wenn das günstige Produkt sonst von jemand anderem gekauft wird? Und hat es einen Einfluss, wenn mehrere Personen das Produkt kaufen könnten? „Manche Menschen entschuldigen ihr nicht ideales Verhalten mit der Begründung, dass es jemand anderer kaufen würde, wenn sie es nicht tun“, erläutert Mario Mechtel. Das Ergebnis einer aktuellen Studie: Proband*innen wurden vor die Wahl gestellt, ein „unfaires“ Produkt zu kaufen, das ihnen selbst zwar einen Nutzen bringt, aber einen Schaden bei einer anderen Person verursacht, oder auf den Kauf zu verzichten. Ist die Person der*die einzige potenzielle Käufer*in auf dem Markt, so kauft sie das Produkt in 58 Prozent der Fälle. Gibt es hingegen eine weitere Person, die das Produkt kaufen könnte, wenn die/der erste Proband*in verzichtet, so wird es von 85 Prozent der Personen gekauft. „Diese ‚replacement logic‘ dient als Entschuldigung für das Verhalten der Proband*innen vor sich selbst, obwohl unsere Daten zeigen, dass sie eigentlich der Auffassung sind, dass der Kauf nicht moralisch angemessen ist“, so Mechtel.

„Unser Ziel ist es, menschliche Entscheidungsverhalten zu verstehen, der Fokus liegt bei uns nicht darauf, was Unternehmen von solchen Entscheidungen haben“, erklärt Mario Mechtel. Aus den Ergebnissen können beispielsweise Politiker*innen Schlüsse für Entscheidungen oder Gesetze ziehen.

Das Land Niedersachsen und die VolkswagenStiftung fördern den Wissenschaftsraum Verhaltensökonomik mit gut 2,4 Mio. Euro. Er startet Anfang September 2024, baut aber auf langjährige Netzwerke und Projekte auf. Eine Besonderheit, über die sich Mechtel besonders freut: „Der Bereich Verhaltensökonomik ist an den beteiligten Universitäten recht klein. Jetzt aber arbeiten wir eng im Verbund mit 15 Verhaltensökonom*innen.“ Für den konstruktiven Austausch überlegt das Team aktuell verschiedene Vorgehensweisen. „Wir können uns ja nicht jede Woche sehen, da die beteiligten Institutionen über ganz Niedersachsen verteilt sind“, sagt Mechtel. Das Team möchte systematisch in Forschung, Lehre und Transfer arbeiten. Zum Verbund gehört auch ein Promotions-Kolleg, das ebenfalls in Lüneburg angesiedelt ist.

Das Förderformat „Wissenschaftsräume“ des Landes Niedersachsen und der VolkswagenStiftung unterstützt die Zusammenarbeit zwischen niedersächsischen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Im Fokus des Wissenschaftsraums Verhaltensökonomik stehen die durch Transformation ausgelösten Verhaltensänderungen und Veränderungen ökonomischer Ergebnisgrößen. Er vernetzt niedersachsenweit Expert*innen zu diesem Themenbereich.

Kontakt

  • Prof. Dr. Mario Mechtel