Tagung "Nach der Pandemie – Wie geht es weiter mit der Kultur?" Keynote von Volker Kirchberg an der Hochschule für Musik FRANZ LISZT Weimar

24.09.2021 "Die Pandemie als Anlass – Kultur als gesellschaftlich irrelevanter Bereich". Keynote Volker Kirchberg gemeinsam mit Prof. Dr. Tasos Zembylas, Universität für Musik und Darstellenden Kunst Wien

Der Vortrag gibt einen theoretischen Rahmen zur Analyse des gesellschaftlichen Stellenwerts der Kultur in den deutschsprachigen Ländern, der mit der Covid-Pandemie deutlich sichtbar geworden ist. Noch in den 1970er Jahren gab es einen breiten gesellschaftlich getragenen Konsens über die öffentliche Finanzierung von Kultur, um verschiedene sozial-, bildungs- und demokratiepolitische Ziele zu erreichen. Dieser kulturpolitische Konsens ist mit der hegemonialen Neoliberalisierung weggebrochen. Ein Indiz dafür ist die Marginalisierung der Kultur im politischen Diskurs. Zugespitzt zeigt sich dies auch an der in der Pandemie-Krise eingeführten Diskursfigur der „systemrelevanten Bereiche“, welche den Stellenwert des Kulturbereichs explizit in Frage stellt. Diese kulturpolitische und darüber hinaus allgemeine kulturelle Krise wurzelt im Konflikt der unterschiedlichen Interessen der Kultur, der Politik, der Wirtschaft und der Umwelt (in der Pandemie zusätzlich noch der Gesundheit und der Wissenschaft). In der Folge kommt es zu einer Erschütterung von etablierten Routinen und Institutionen, die nicht durch neue, als sicher erkennbare Alternativen ersetzt werden. Eine Reihe von Sozialwissenschaftlern und Sozialwissenschaftlerinnen haben dies theoretisch ausgeführt. Niklas Luhmann betrachtet die Krise als Bedrohungen etablierter Systeme. Pierre Bourdieu versteht die Krise als fehlende Anpassung des Habitus an ein sich stark veränderndes Feld. Ulrich Beck interpretiert die Krise als Vertrauensverlust in die Moderne, mit der Folge der Wahrnehmung einer allgegenwärtigen Risikogesellschaft als Gefahrenquelle. Und Hartmut Rosa sieht die Krise zwar als Chance für eine soziale Transformation, in der mächtige veraltete Logiken entthront werden, in der aber das Chaos keine neuen Alternativen bereit hält und deshalb die Angst vor der Zukunft wächst. Angesichts dieser dystopischen Existenzvorstellungen wird Kultur in der Gesellschaft als unwichtig eingeschätzt. Diesem zu konstatierenden Sachverhalt stellen wir allerdings die realistische Vision gegenüber, mit dem kritischen und transformativen Potential der Kultur und der Künste globale Probleme der umfassenden sozial-ökologischen Krise neu zu deuten und an Lösungen mitzuarbeiten.

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