Von Klima-Vorbildern zu Alltags-Ausreden

Leuphana´s Science behind Sports: Nachhaltigkeit von Großveranstaltungen

01.08.2024 Der Sommer 2024 hält Sportbegeisterte in Atem. Die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland erfreute Millionen Zuschauer*innen. Die Olympischen Spiele in Paris locken jetzt weltweit noch mehr Interessierte vor die Bildschirme und Mobilgeräte. Anschließend faszinieren bis September die Leistungen der Athleten*innen der Paralympics. In loser Folge behandeln einige Beiträge das Thema „Leuphana´s Science behind Sports“. Fragen werden beleuchtet, die sich viele Fans im Eifer der Wettkämpfe zwar stellen, aber nicht immer beantwortet bekommen.

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„Auf der positiven Seite kann kaum ein anderer Bereich in der Gesellschaft so gut zwischen sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Völkern verbinden wie der Sport mit seinen Events", sagt Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan Schaltegger.
©Leuphana
Die Reihe „Leuphana´s Science behind Sports“ beleuchtet Fragen, die sich viele Fans im Eifer der Wettkämpfe zwar stellen, aber nicht immer beantwortet bekommen.

Stefan Schaltegger, Professor für Nachhaltigkeitsmanagement an der Leuphana Universität Lüneburg hat auch zu Sport- und insbesondere Fußballthemen gearbeitet. Erst kürzlich sagte er dem Fachmagazin Kicker auf die Fragen zur Nachhaltigkeit, dass die EM „ein gutes und ambitioniertes Konzept“ habe. Grundsätzlich ist zu fragen, ob Großereignisse wie eine Europa- oder Weltmeisterschaft, wie Olympische Winter- oder Sommerspiele und weitere Events nachhaltig organisiert und durchgeführt werden können? Was kann aus wissenschaftlicher Sicht dazu gesagt werden?

Nun – gut 14 Tage nach dem spanischen Titelgewinn, der siegreichen Mannschaft im Viertelfinale über das wieder erstarkte Team Deutschland – ein Interviewstart mit der elementaren Frage: Können Großereignisse grundsätzlich nachhaltig sein?
Großveranstaltungen haben sowohl besondere positive als auch negative Wirkungen. Absolut betrachtet kenne ich keine Großveranstaltung, die in jeder Hinsicht keine negativen und nur positive ökologische, soziale und ökonomische Wirkungen aufweist. Jede Veranstaltung verursacht beispielsweise Verkehr, Abfall und Energieverbrauch. Viele Veranstaltungen sind mit Spannungen oder gar Konflikten verbunden, die von Rowdytum bis zu nationalpolitischen Auseinandersetzungen unterschiedliche Dimensionen annehmen können. Nur negative Aspekte zu betrachten, wäre jedoch zu einseitig. Auch ist zu fragen, was die Menschen tun würden, wenn sie nicht in das Stadion gingen. Wenn sie stattdessen im Auto durch die Landschaft fahren, dann ist das nicht unbedingt nachhaltiger.
Was macht den gesellschaftlichen Wert des Sports aus?
Auf der positiven Seite kann kaum ein anderer Bereich in der Gesellschaft so gut zwischen sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen und Völkern verbinden wie der Sport mit seinen Events. Im Grundgedanken der Olympischen Spiele und vieler Sportevents steckt die Idee der Völkerverbindung, der regelgebundenen Fairness und des Zelebrierens von Gemeinsamkeiten. Sport stellt mit seinen Regeln und Veranstaltungen eine zivilisatorische Errungenschaft dar, sich zu messen und friedlich zusammenzukommen. Viele sind durch Spitzensportevents motiviert, selbst Sport zu treiben. Wenn nahezu 50 000 Menschen den Berlin Marathon laufen, dann ist das ein gesellschaftsverbindender Anlass, der viele motiviert, das ganze Jahr über Sport zu treiben und sich gesund zu halten. In einer Gesellschaft, die immer stärker von Übergewicht und Bewegungsarmut geprägt ist, ist diese Wirkung nicht zu unterschätzen. Etliche, besonders bildungsferne Menschen lernen erst im Sport das Einordnen in eine Gruppe und das Befolgen von Regeln als Tugend. Je nachdem wie Nachhaltigkeit berücksichtigt wird oder nicht, können Sportlerinnen und Sportler, aber auch Sportevents für viele Menschen einen positiven oder auch negativen Vorbildcharakter haben. Dass sich die Organisatoren von Großveranstaltungen ambitionierte Nachhaltigkeitsziele setzen, ist für die Gestaltung einer positiven gesellschaftlichen Wirkung deshalb sehr zu begrüßen.
Zurück zur EM: Es sollen viele Partner, verantwortliche Entscheidungsgremien, in die Konzeption der Europameisterschaft eingebunden gewesen sein. Ist das Ziel des Turnierdirektors Philipp Lahm erreicht worden, ein klimafreundliches Fußballfest zu organisieren, das auch Vorbild für folgende Veranstaltungen sein kann?
Vieles wurde sehr gut geplant wie beispielsweise die Nutzung bestehender Stadien und von Ökostrom, die Mehrwegkonzepte, der Klimafonds für Sportvereine oder kurze Reisestrecken zwischen den Stadien in der Vorrunde. Andere Ziele wurden nicht gut erreicht, wie Bahnreisen für fast alle Fans und der Verzicht auf Kurzstreckenflüge. Da nützen alle Ausreden nichts: Die Bahn hat Deutschland leider international blamiert und keine gute Werbung für den öffentlichen Verkehr gemacht. Insgesamt würde ich die EM in Deutschland trotz des großen Verbesserungspotenzials, das bleibt, aber als einen deutlichen Fortschritt gegenüber vergangenen internationalen Fußballanlässen bewerten.
Der Deutschlandfunk hatte kürzlich recherchiert, dass die Nationalmannschaften ihrer Vorbildfunktion nicht gerecht geworden sind. Es war geplant, möglichst auf Inlandsflüge zwischen den Spielen zu verzichten – die Reisen per Bus hätten positive Signale ausgesendet. Das klappte nicht. Die wenigsten Teams hielten sich an die Vorgabe. Was kann man daraus lernen?
Die Kurzstreckenflüge einiger Teams über teilweise lächerliche Strecken (wie etwa der 25-Minuten Flug einer Mannschaft von Hannover nach Hamburg) stellen auf alle Fälle schlechte Signale dar. Kaum ein Nationalteam hat diesbezüglich als Vorbild getaugt. Ich habe gelesen, dass das Schweizer Team fast das einzige war, das sich vollständig auf die Bahn und für den Materialtransport auf Reisebusse verlassen hatte. Die Teamreisen fallen im Vergleich zu den Fanreisen in der gesamten Nachhaltigkeitsbilanz der Europameisterschaften allerdings kaum ins Gewicht. Wenn aber die Bahn nicht in der Lage ist, 50 000 und mehr Fans rechtzeitig und unter würdigen Bedingungen in das Stadion und zurück zu bringen, dann ist dies sowohl ein Planungs- und Organisationsversagen der Bahn als auch der Veranstalter, das in Verkehrschaos und irrwitzigen Flugbuchungen endete. Bezüglich Vorbildwirkung hätte der Veranstalter zum Beispiel alle Nationalmannschaften in Reisebussen mit Wasserstoffantrieb durchs Land transportieren können und das wäre auch für die deutsche Automobilindustrie eine Möglichkeit gewesen, sich fortschrittlich zu präsentieren. Stattdessen haben chinesische Anbieter die Stadionwerbebühne im Autoland Deutschland eingenommen. Hier wurde viel Potenzial verschenkt, aber zukünftige Veranstalter können das nun hoffentlich besser organisieren.
Muss die Organisation der Großereignisse aus wissenschaftlicher Sicht grundlegend überdacht werden?
Für eine nachhaltige Ausgestaltung von Sport- und Kulturevents bestehen viele fundierte Konzepte, die je nach Ausgangslage für das Nachhaltigkeitsmanagement von Vereinen, einer Bundesliga, einer Europa- und Weltmeisterschaft oder von Olympischen Spielen genutzt werden können. Sicherlich kann und muss die Forschung weitere Beiträge leisten, aber das Potenzial durch Anwendung bestehender Konzepte ist noch nicht ausgeschöpft. Auch sind viele Sponsoren daran interessiert, dass die Veranstaltungen, die sie unterstützen, eine gute Nachhaltigkeitsbilanz aufweisen und positiv wahrgenommen werden. Deshalb ist es derzeit mehr eine Frage der Weiterbildung und des Umsetzungswillens. 

Sie selbst waren Leistungssportler, im Leichtathletik Nationalteam mehrfach nominiert und später im Triathlon und Duathlon international erfolgreich. Vieles wird sich heute für die Sportler*innen anders darstellen: höherer Druck der Organisatoren und Sponsoren, enorme Social Media-Erwartungen. Können einzelne Athleten etwas verändern?
Bis in die siebziger Jahre war Nachhaltigkeit im Sport kaum ein Thema, aber schon während meiner Aktivzeit als Leichtathlet Ende der achtziger Jahre kamen Umweltthemen auch in Kombination mit Gesundheitsgefahren auf und Dopingfälle wurden publik. Klar, es war weniger Geld im Spiel. Aber die gesellschaftliche Aufmerksamkeit war schon sehr groß, die Umweltbewegung war im Aufschwung und viele Sportlerinnen und Sportler begannen, sich für eine gesündere, saubere und sozialere Welt einzusetzen. Soziale Medien gab es nicht im heutigen Sinne, aber da alle Zeitung lasen, war die publizierte Wirkung, die von Aussagen und Handlungen von Sportgrößen ausging, auf alle Fälle da. Sportlerpersönlichkeiten können unabhängig der Medienkanäle durch die Aufmerksamkeit, die sie genießen, Bewusstsein wecken und als Vorbilder einen großen Einfluss ausüben. Persönlichkeiten wie Philipp Lahm sind sich dessen bewusst und handeln auch mutig und beeindruckend für mehr Nachhaltigkeit.
Vielen Dank für das Gespräch!

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  • Prof. Dr. Dr. h.c. Stefan Schaltegger