Polizei, Politik, Polis. Neues Forschungsprojekt zu Geflüchteten in Städten

07.09.2020 In ihrem aktuellen Forschungsprojekt untersucht Sybille Münch, Professorin für Theory of Public Policy, welche Rolle die Polizei in der lokalspezifischen Aushandlung fluchtbedingter Vielfalt in Großstädten spielt: In welcher Weise nimmt polizeiliches Handeln eine jeweils besondere Logik im städtischen Raum ein? Wie ist es dabei in einen stadtpolitischen und zivilgesellschaftlichen Kontext eingebettet?

Die öffentliche und politische Thematisierung von Flucht ist häufig durch einen Sicherheitsdiskurs geprägt. Damit kommt der Polizei im Umgang mit ambivalenten Unsicherheitslagen und -wahrnehmungen im Spannungsverhältnis von Sicherheit und Menschenrechten eine zentrale, wenn auch oft übersehene Rolle zu. Münchs einzigartiger Ansatz ist es, zu untersuchen, inwiefern die Polizei in lokale Praktiken eingebunden ist und vom städtischen Umfeld geprägt wird. Das Forschungsprojekt will analysieren, in welcher Weise polizeiliches Handeln gegenüber Geflüchteten eine jeweils besondere Logik im städtischen Raum annimmt und dabei in stadtpolitische Strategien („Politik“) und zivilgesellschaftliche Praktiken und Diskurse („Polis“) eingebettet ist. Es leistet damit einen Beitrag zur Rolle der Polizei in der lokalspezifischen Aushandlung von fluchtbedingter Diversität von Stadtgesellschaften sowie zur Erforschung der Bedeutung von Flucht und Migration für das urbane Regieren. „Konzeptionell geht das Projekt davon aus, dass Städte durch ihre historisch herausgebildeten Praktiken, Selbstverständnisse und Diskurse bestimmte Weisen der Handlungsorientierung nahelegen“, erklärt Münch. „Wir nehmen an, dass auch polizeiliche Akteure trotz ihres Status als Vollzugsinstanz staatlicher Gesetze über einen beträchtlichen Gestaltungsraum verfügen.“ So entwickelt die Polizei spezifische Strategien der Öffentlichkeitsarbeit, kann sich an Netzwerken und Gremien beteiligen und an Orten wie Schulen für ihre Themen und Sichtweisen sensibilisieren.  

Im Laufe des Projekts werden in sechs Städten (Karlsruhe, Mannheim, Kassel, Darmstadt, Braunschweig, Osnabrück) aus den Bundesländern Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachen polizeiliche Wahrnehmungen der Herausforderungen und der Handlungsmöglichkeiten sowie die verfolgten Sicherheitsstrategien erschlossen. Im zweiten Schritt werden diese polizeilichen Sichtweisen und Handlungsorientierungen in die lokalen Kontexte eingebettet. Schließlich wird ermittelt, inwiefern sich von spezifischen städtisch-polizeilichen Umgangsweisen mit Geflüchteten sprechen lässt und wo deren Bruchstellen, Konflikte und Potentiale liegen können. Es sind die Praktiken der alltäglichen Polizeiarbeit im Kontext Flucht, die im Projekt im Mittelpunkt stehen.

Das dreijährige Projekt von Sybille Münch wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Beteiligt sind neben dem Zentrum für Demokratieforschung (ZDEMO), Prof. Georgios Terizakis von der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung (HfPV) in Wiesbaden und Prof. Michael Haus von der Universität Heidelberg. Die Erhebung der empirischen Daten beginnt am 1. Januar 2021.