Forschungsprojekt in Kooperation mit der Klassik Stiftung Weimar: Sprachbilder der „Natur“

13.12.2021 Im Rahmen des Jahresprogramms „Neue Natur“ der Klassik Stiftung (KSW) war das Thesaurus-Projekt von Ulrike Steierwald (Professorin für deutschsprachige Literatur an der Leuphana Universität) zu Gast in Weimar. In einem transdisziplinär mit Wissenschaftler/innen, Autor/innen und Künstler/innen international besetzten Kolloquium wurde über Vor- und Darstellungsmöglichkeiten elementarer Aggregatzustände des Festen, Flüssigen, Plasmatischen und Flüchtigen verhandelt.

Ulrike Steierwald ©© Lilian Robl
Grenzgebiete des Beschreibbaren, als dynamische, emergente, immer in Veränderung befindliche (Trans-)Formationen, gehören zu den Mustern einer Sprachbildlichkeit der Künste in Geschichte und Gegenwart.

Das Disziplinen und Institutionen verbindende Projekt macht die poetische Welthaltigkeit der Sprache in Form von konkreten Handlungsspielräumen begreifbar und war mit seiner diesjährigen öffentlichen Tagung an der KSW bestens aufgehoben. Die Weimarer Sammlungen, Archive, aber auch die großen Parkanlagen und Architekturtraditionen machen historische Ordnungen der „Natur“ in ihrer Wirkmacht, ihren Widersprüchen, produktiven Gestaltungsspielräumen wie auch ihrem gefährlichen Destruktionspotential gegenwärtig. Die rund 30 Museen, prominenten Häuser, Schlösser und Gärten der KSW werden jährlich von mehr als einer Million Gästen besucht. Aktuell ist in den Kulturwissenschaften und in den Künsten von immer wieder neu und poetisch-ironisch auszubuchstabierenden Universalalphabeten, von Atlanten (Aris Fioretos), „Begriffsstudios“ (Monika Rinck) oder „Naturkunden“ die Rede. Reinhard Laube, Direktor der Weimarer Herzogin Anna Amalia Bibliothek, wünscht sich daher eine langfristige Zusammenarbeit mit der Leuphana Universität, in der nicht zuletzt die Infrastrukturen überregionaler Erschließung und Vermittlung der KSW genutzt werden könnten.

Das in den Kulturwissenschaften viel diskutierte Zeitalter des Anthropozän wurde auf der Tagung als eine absehbare, kleine und damit umso verantwortungsvoller zu betrachtende Zeitspanne betrachtet – als eine Zeit also, in der sich anthropologische Forschungstraditionen um die bescheidenere, epistemologische Frage „Was wird ‚der Mensch‘ gewesen sein?“ erweitern müssen. Alle Beiträge machten bewusst, dass jede Reflexion über den Begriff der „Natur“ die zeitlich eng begrenzte Bedingtheit des Menschen, als Teilhaber und zugleich nur elementares Teilchen der Natur, berücksichtigen sollte. Feuer, Erde, Luft und Wasser lassen sich eigentlich weder als statische Aggregat-„Zustände“ oder Substanzen analysieren noch eindeutig voneinander abgrenzen. Als Grenzgebiete des Beschreibbaren, als dynamische, emergente, immer in Veränderung befindliche (Trans-)Formationen gehören sie in ihren nie sich erschöpfenden Mustern zu einer in allen Kulturen präsenten wie diversen Sprachbildlichkeit der Künste in Geschichte und Gegenwart.

Im Rahmen der Abendveranstaltung „Übersetzen! Das ‚Schreiber-Sofa‘ im Bücherkubus der Herzogin Anna Amalia Bibliothek“ sprachen Ulrike Draesner, Ulrike Steierwald und Aris Fioretos über Notwendigkeit und Gefahren des Über-Setzens in der Niemandslandsprache der Dichtung und die politischen wie ökologisch prekären Zonen des „Dazwischen“. In Fragen zum „Schwimmen“ und „Fliegen“ zeigten sich die Aggregationen der Elemente einmal mehr als poetische Grenzregionen für Höhenflüge und Abstürze, für Luftschlösser und versunkene Länder, für das Sterben und die Kunst des Übersetzens.

Die gesamte Tagung konnte unter besten hygienischen Bedingungen vor Ort stattfinden und wurde gefördert durch die Fritz Thyssen Stiftung („Bild-Ton-Sprache“), die Gesellschaft der Freunde der Herzogin Anna Amalia Bibliothek e.V. sowie die Forschungsförderung der Leuphana Universität. Im Gespräch waren dreizehn renommierte Autor/innen, Künstler/innen und Wissenschaftler/innen. Im Abschlussgespräch betonte Wolfgang Kemp die sich auf der Tagung gezeigt habende Schwarmintelligenz – in ironischer Abgrenzung zum „Aggregat“, also zu einer Herde (lat.: grex {m.}, gregalis {adj.}). Der „Schwarm“ beschloss, im Konsens sich ganz sicher in dieser oder erweiterter Form bald wieder – bestenfalls auch in Weimar – zu sammeln:

Prof. Dr. Ulrike Draesner (Autorin und Professorin für deutschsprachige Literatur, Universität Leipzig); Prof. Dr. Aris Fioretos (Autor und Professor für Ästhetik, Universität Södertörn/Stockholm); Prof. Dr. Yvonne Förster (Professorin für Philosophie, Leuphana Universität/Shanxi University Taiyuan); Dr. Christine Gruber (Physikerin, Linz); Prof. Dr. Wolfgang Kemp (Professor für Kunstgeschichte, Universität Hamburg/Leuphana Universität); Dr. Reinhard Laube (Historiker und Ltd. Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek Weimar); Prof. Dr. Andrea Polaschegg (Professorin für Neuere deutsche Literaturwissenschaft, Universität Bonn); Prof. Monika Rinck (Autorin und Professorin für Sprachkunst, Universität für angewandte Kunst Wien); Lilian Robl (Bildende Künstlerin, München); Prof. Dr. Ulrike Steierwald (Professorin für deutschsprachige Literatur, Leuphana Universität, seit 2019 im Wissenschaftlichen Beirat der Herzogin Anna Amalia Bibliothek); Dr. Marion Steinicke (Religionswissenschaftlerin, Universität Koblenz) & Prof. Dr. Heinz Georg Held (Kunsthistoriker, Universität Pavia);  Prof. Dr. Sonja Zeman (Professorin für germanistische Linguistik, LMU München)

Kulturstiftung Weimar ©Kulturstiftung Weimar
Kulturstiftung Weimar
Fritz Thyssen Stiftung ©Fritz Thyssen Stiftung
Fritz Thyssen Stiftung