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RÄUME DES SELBST: ZUM VERHÄLTNIS VON INTERIEUR UND INNERLICHKEIT

22.03.2016

Seit wann und warum gilt die Gestaltung von Räumen als Ausdruck des Inneren ihrer Bewohner? Und aus welchen Gründen stellen wir uns Subjektivität überhaupt als Raum vor? Vor dem Hintergrund dieser Fragen versammelt der Band „Interiors and Interiority" (erschienen in englischer Sprache), der von Beate Söntgen, Professorin für Kunstgeschichte und Vizepräsidentin für Forschung und Humanities an der Leuphana Universität Lüneburg, gemeinsam mit Ewa Lajer-Burcharth von der Harvard University im renommierten Verlag de Gruyter herausgegeben wurde, Essays internationaler Kunst-, Literatur- und Medienwissenschaftler/innen. Dabei schlagen die Autor/innen einen Bogen von der niederländischen Malerei der Frühen Neuzeit bis zum zeitgenössischen Film.

Im 18. Jahrhundert war die Vorstellung von „Innerlichkeit“ fundamental für ein sich herausbildendes Konzept von Subjektivität. „Innerlichkeit“ fand ihren Ausdruck nicht nur in der Literatur, sondern auch in der Architektur und bildenden Kunst. Während ihre Individualisierung und Bewahrung Merkmale einer Bürgerkultur um 1900 sind – wie Walter Benjamin es betont hat  , sind ihre Kritik und Dekonstruktion charakteristisch für die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts.

In insgesamt sechs Sektionen untersuchen die versammelten Autorinnen und Autoren das komplexe Zusammenspiel von „Innerlichkeit“ und Interieur. Gegenstand sind so unterschiedlichen Phänomenen wie das Boudoir im Rokoko, das Goethehaus, Grotten in Versailles, die Schwellenzonen zwischen Innen und Außen auf Gemälden Paul Cézannes, Ausstellungsräume der Moderne, Rainer Maria Rilkes Laterna-Magica-Methode, die Bauhaus-Idee zum Wohnen oder filmische Innenräume.  Die thematischen Schwerpunkte liegen auf dem Interieur als Handlungsraum, der Dialektik von Innen und Außen, den räumlichen Modalitäten der Verinnerlichung, dem Interieur als Ort des ökonomischen Austausches, dem Wechselspiel von realem und repräsentiertem Raum und dessen ethischen und politischen Dimensionen.

Die Erforschung der Wechselwirkungen zwischen Raum und Selbst, Architektur und Subjektivität, Interieur und „Innerlichkeit“ gewinnt nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer durch digitale Medien und soziale Netzwerke geprägten, oftmals als gefährdet betrachteten Form der Privatheit an Aktualität.

Beate Söntgen setzt ihre Forschung zum Interieur fort; sie schließt eine Monographie „Interieur. Von der Zugänglichkeit des Bildes in Barock und Moderne“ ab und bereitet ein interdisziplinäres Forschungsprojekt „Die Kunst der Einrichtung“ im Rahmen des geplanten SFB „Digitale Kulturen“ der kulturwissenschaftlichen Fakultät der Leuphana vor.

Lajer-Burcharth, Ewa/ Söntgen, Beate (Hrsg.): Interiors and Interiority, 2015, Berlin: De Gruyter Verlag. 488 Seiten, EUR 99.95, ISBN 978-3-11-034043-3.