Studie zum Wald-Ökosystem vor dem Auftreten des Homo sapiens
24.11.2023 Europa war in der letzten Warmzeit nicht von dichten Wäldern bedeckt
Lüneburg. Die Ökologin Professorin Brigitte Urban von der Leuphana Universität Lüneburg gehört zu den Autor:innen einer jetzt im renommierten Wissenschaftsmagazin Science Advances erschienenen Studie über das Wald-Ökosystem vor dem Auftreten des Homo sapiens. Für ihre Forschung haben die Wissenschaftler:innen eine Vegetationsrekonstruktionsmethode genutzt und auf Pollenfunde aus ganz Europa aus der letzten Warmzeit (vor 129.000-116.000 Jahren) angewendet. Die Ergebnisse zeigen, dass die Wälder in den gemäßigten Klimazonen der damaligen Zeit - anders als bisher vermutet - eher heterogen als einheitlich dicht waren und Grasland und Offenland wichtige Bestandteile dieses Biomes waren.
Die Studie zeigt, dass die Ökologie der Wälder in gemäßigten Breiten neu überdacht werden muss. Sie trägt dazu bei, zu erklären, warum ein großer Teil der biologischen Vielfalt in Europa von offenen und lichten Wäldern abhängt. Nach Berechnungen der neuen Studie waren zwischen 50 und 75 Prozent der Landschaft von offener oder halboffener Vegetation bedeckt. Dies - so die Verfasser:innen - liegt höchstwahrscheinlich an den großen Säugetieren wie beispielweise Pferden, Bisons, Auerochsen, Naßhörnern und Elephanten, die damals lebten und die Landschaft offen hielten. Folglich sind die Landschaften nicht nur durch das Klima, sondern durch natürliche Störungsfaktoren in ihrer Struktur und Zusammensetzung beeinflusst worden. Die Autor:innen sind davon überzeugt, dass diese natürlichen Störungsregime in den Wäldern der gemäßigten Zonen eine wichtige Rolle spielen, und plädieren dafür, das Waldbiom der gemäßigten Zonen vor dem Hintergrund ihrer Erkenntnisse neu zu definieren.
Die Studie hat zudem wichtige Auswirkungen auf Restaurierungs- und Erhaltungsziele – „Wenn die Artenvielfalt gefördert werden soll, ist es wichtig, große Tiere in die Ökosysteme zu integrieren“, so der Leiter des Forschungsvorhabens Jens-Christian Svenning von der Universität Aarhus, Dänemark.
Professorin Vicky Temperton, Leiterin des Instituts für Ökologie der Leupana, kommentiert: „Diese Studie ist von großer Bedeutung, da unsere derzeitige Vorstellung von der Natur häufig von der Annahme geprägt ist, dass ein dichter Wald der natürlichste Zustand ist. Die Ergebnisse dieser Studie aus ganz Europa zeigen jedoch, dass die Natur (ohne größere menschliche Einflüsse) auch lichte und dichte Wälder sowie das Grasland unter und um die lichten Wälder umfasst. Wir vergessen, dass große Pflanzenfresser seit langem große Teile unserer Landschaften offen gehalten haben. Auch dies gehört zur Natur und hat wichtige Auswirkungen auf die ökologische Renaturierung, bei der es darum geht, geschädigte Lebensräume wiederherzustellen und den Klimawandel abzuschwächen.“
Der vollständige Beitrag ist hier nachzulesen:
www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adi9135