Verabschiedung: Professor Dr. Pierangelo Maset – Beängstigende Freiheitsmomente

24.10.2022 Der Professor für Kunst und ihre Didaktik war wesentlich beteiligt an der Entwicklung eines zeitgenössischen Kunstvermittlungsparadigmas. Nun geht Pierangelo Maset in den Ruhestand und widmet sich seiner künstlerischen Arbeit als Fotograf, Autor und Soundartist.

Prof. Dr. Pierangelo Maset vor einer Staffelei ©(c) 2017
Prof. Dr. Pierangelo Maset vor einer Staffelei

Kann Kunstvermittlung künstlerisch sein? Noch bis in die 90er Jahre hinein galt diese Idee als radikal. Zu streng waren Kunstschaffen und Kunstdidaktik getrennt. Entweder jemand war Künstler*in oder man redete darüber: „Kunstpädagogik war eine Serviceveranstaltung für didaktische Anwendungen“, erklärt Prof. Dr. Pierangelo Maset. Dabei sei gerade die Kunst eine bedeutende Ausdrucksmöglichkeit für Kinder und Heranwachsende in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstufen. „Guter Kunstunterricht schafft es, Kindern und Jugendlichen eine Plattform für ihre Ausdrucks- und Kommunikationsmöglichkeiten zu eröffnen. Idealerweise kommen wichtige Impulse von den Kindern und Jugendlichen selbst. Ich bin ein Vertreter der Differenzbildung, die deutlich macht: Ich komme als Lehrender zwar aus einer anderen kulturellen Sphäre, aber vielleicht gibt es etwas, was euch interessiert, weil ihr es noch nicht kennt.“

Es war ausgerechnet die Kunst selbst, die in den 90er für den Paradigmenwechsel in der Kunstvermittlung sorgte: „Jeder Mensch ist ein Künstler“, proklamierte Joseph Beuys früh und prägte den Begriff der Sozialen Plastik: Jede*r kann gestalten und mit seiner Kunst die Gesellschaft verändern. „Lüneburg spielte bei der Entwicklung der künstlerischen Kunstvermittlung eine wichtige Rolle, etwa mit der Kontextkunst, die im Kunstraum geschaffen wurde“, berichtet Pierangelo Maset. Roger M. Buergel, Leiter der documenta 12, realisierte Ausstellungen im Kunstraum. Viele Künstler*innen holte Maset als Lehrbeauftragte an die Leuphana Universität Lüneburg: „Wir begreifen die Didaktik aus der Kunst heraus“, erklärt der Wissenschaftler.

Der kreative Prozess ist die eine Seite: „Kunst funktioniert nicht ohne Theorie. Das Lehramtsstudium braucht eine fundierte fachliche Ausbildung. Wir leben in einer Welt, in der die Wissensbildung immer weiterwächst. Auf das Fachliche kann nicht verzichtet werden. Texte etwa von Kant, Adorno oder Bourdieu und Haraway gehören unbedingt ins Curriculum“, erklärt Pierangelo Maset. Der scheidende Professor brachte beide fachlichen Ausbildungen mit, um sowohl Theorie als auch Praxis gerecht zu werden: Pierangelo Maset studierte Kunst /Visuelle Kommunikation, Philosophie, Anglistik und Soziologie in Kassel, Göttingen, Berlin und Hamburg. Er promovierte und habilitierte zu ästhetischer Bildung. Seit Ende der 70er Jahre ist er auf Ausstellungen vertreten, hält Lesungen und veranstaltet Performances. In den 80er Jahren veröffentlichte er einige Tonträger mit unterschiedlichen Bands wie Exkurs, Modern Entertainment und Dr. Misch (diese Gruppe gilt als erste deutsche RAP-Band). Maset war zudem Mitbegründer des HYDE-Kartells in Berlin. Er publiziert auf den Gebieten der Kunst/ Ästhetischen Bildung/ Ästhetik/ Kunstvermittlung und verfasste drei Romane, wovon „Laura oder die Tücken der Kunst“ für den Deutschen Buchpreis nominiert wurde.

Pierangelo Maset arbeitete auch als Lehrer: „In der Kunst geht es um die Entwicklung einer eigenen Position und um selbstständige Gestaltungen. Das Lehramtsstudium im Fach Kunst braucht deshalb deutlich mehr Freiheitsmomente, die manchen Pädagog*innen vielleicht auch Angst einjagen. Aber es braucht diesen Raum mehr denn je. Lehrer*innen sollen die Kinder und Jugendlichen schließlich auf eine freiheitlich-demokratische Gesellschaft vorbereiten, und da hilft die Programmierung von Unterricht nicht weiter.“