Gerhard Ringshausen: Das widerständige Wort

21.11.2022 In seiner neuen Monografie „Das widerständige Wort“ untersucht Gerhard Ringshausen, emeritierter Professor für evangelische Theologie an der Fakultät Bildung, die Werke regimekritischer christlicher Autor*innen im Nationalsozialismus.

Christliche Autor*innen zur Zeit des Nationalsozialismus, wie Stefan Andres, Ricarda Huch oder Werner Bergengruen, gehörten zu einer Gruppe innerhalb der „Inneren Emigration“ – weder verließen sie Deutschland noch leisteten sie aktiven Widerstand, verstanden sich aber als regimekritisch und drückten ihre Opposition auch literarisch aus. Der Inneren Emigration wurde seit den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts vorgeworfen, zu passiv, zu wenig kämpferisch gewesen zu sein. Ringshausen erinnert etwa an die Berufung auf Brecht: „Es gelang diesen Autoren nicht, ihre Werke handhabbar zu machen als eine Waffe“ – ihr Antifaschismus blieb hilflos.

Dass diese Autoren nicht zum Widerstand aufriefen, stellt Ringshausen nicht in Abrede, plädiert in seinem opus magnum aber für eine differenziertere Betrachtung. Mit großer Materialfülle arbeitet der Theologe nach seinen zahlreichen Forschungen zum Widerstand im „Dritten Reich“ das Oppositionelle, Regimekritische und durchaus auch Widerständige an der in dem Focus genommenen Dichtung heraus. Er zeigt, wie die Schriftsteller*innen auf die Entwicklungen in Deutschland reagierten, etwa indem sie ihre Anklage hinter historischen Metaphern kaschierten, so zum Beispiel Reinhold Schneider:

ganz am Ende unseres Denkens […] stehen Bilder so ungeheurer, so entsetzlicher Art, dass das Blut gefrieren möchte in unserem Herzen, und es vergeht kein Tag, an dem sie nicht näher rücken …“ Das bezieht sich zwar auf die Französische Revolution, gemeint war aber die sich im Reichsjudenpogrom 1938 zeigende Rechtlosigkeit im NS-Regime, die in der Shoa ihren Hohepunkt erreichte.

Ringshausen zeigt sehr anschaulich, wie die Dichter*innen versuchen, einen literarischen Ausdruck zu finden, etwa von distanzierter Ablehnung wie bei Siegbert Stehmann:

Ihr wandert blind. Der Abgrund wartet schon
Mit off’nem Rachen, Zukunft zu verschlingen

bis zur Resignation wie bei Otto von Taube:

Mein Schritt auf deutschen Straßen
Des letzten Wandrers Schritt.
Es rasen rings die Massen,
Wer ginge gern da mit?
Nur abseits in dem Hagen,
Da atmet sich’s noch frei.
Doch wird er schon geschlagen.
Bald ist auch das vorbei.“

Mehrere Autor*innen bekennen durchaus ihre eigene Schuld, zum Beispiel Albrecht Haushofer, wenn er noch aus dem Berliner Gefängnis 1944 reflektiert, was er hätte anders machen sollen:

ich musste früher meine Pflicht erkennen,
ich musste scharfer Unheil Unheil nennen –
mein Urteil hab ich viel zu lang gelenkt …

Die neue Publikation zielt darauf ab, dass die christliche Dichtung während der NS-Zeit weder Trost- noch Fluchtliteratur war. Damit stellt sich Ringshausen zugegebenermaßen gegen die gängige Interpretation. Doch unabhängig davon, wie man als Leser*in selbst zu einzelnen Interpretationen steht, lohnt sich die Lektüre des im Verlag BeBra Wissenschaft erschienenen Werkes; schon allein, weil es die Entsetzlichkeit des Nationalsozialismus und die Verführbarkeit des Menschen spiegelt und diese Mahnung die von ihm untersuchte Literatur größtenteils durchzieht. Die meisten der behandelten Autorinnen und Autoren kennt man als themenfremder Leser nicht und ist vielfach auch von der Forschung übersehen worden, aber Ringshausen schreibt so neugierig-machend, dass man sie neben der Lektüre gerne nachgoogelt. Zu den zu Unrecht vergessenen Dichterinnen gehört Erika Mitterer, in deren Motto für den Roman „Fürst der Welt“ (Martin Luthers Bezeichnung für den Satan, das Böse) er einen Verbindungspunkt zwischen damals und heute identifiziert:

Schau nicht in das Eck, wo er gestern noch stand!
Er wechselt den Ort und tauscht das Gewand,
und eben noch dort, ist er heute schon … hier.
Im Gegner? Im Bruder? In Dir … und in mir …

  • Das widerständige Wort. Christliche Autoren gegen das "Dritte Reich", Berlin: BeBra Wissenschaft, 700 S., hard cover, € 56,00
  • Hier finden Sie weitere Infos zu Prof. Dr. Gerhard Ringshausen.