Wissenschaftler im Porträt: Marcus Pietsch - Schulleitungen sind anders

26.08.2021 Marcus Pietsch, Professor für Bildungswissenschaft, insbesondere Bildungsmanagement und Qualitätsentwicklung kam über die Beschäftigung mit empirischer Bildungsforschung zum Bildungsmonitoring und spezialisierte sich auf das Thema Führung an Schulen. „Wie kann man Schulen führen und dafür sorgen, dass sie sich weiterentwickeln und innovieren?“ beschreibt er seinen Ansatz, „kurz: Wie kann man Schule besser machen?“

©Leuphana/Marvin Sokolis
Prof. Dr. Marcus Pietsch bei seiner Ernennung

In Deutschland gibt es ungefähr 32.000 Schulleiter*innen und man weiß so gut wie nichts über sie. Beziehungsweise weiß man so viel über sie wie Pietsch herausgefunden hat, denn der Lüneburger Professor ist einer der wenigen Wissenschaftler*innen in Deutschland, der sich im Rahmen großangelegter Studien mit dem Thema beschäftigt. „Was sind das eigentlich für Menschen, die so eine Schule leiten? International ist es ganz groß, in den USA gibt es hunderte Professuren, die das zum Thema haben und in Deutschland gibt es fast nichts. Deshalb habe ich mir diesen Schwerpunkt ausgesucht, weil ich festgestellt habe, dass man dazu dringend etwas machen muss.“ Es war bislang nie ein Forschungsthema, weil Schulleitungen lange Zeit eine Art Vermittler zwischen den deutlich prominenteren Gruppen der Bildungsverwaltung und der Lehrerschaft waren.

Methodisch geht Pietsch über die Erhebung und Auswertung großer bis sehr Datenmengen vor, unter anderem in Kooperation mit forsa. In seiner Forschung konnte er einiges Licht auf das Thema werfen – so fand er zum Beispiel heraus, dass etwa die Hälfte der Direktor*innen in Deutschland nie eine Qualifizierung oder Ausbildung für ihren Beruf durchlaufen haben. Gleichzeitig haben Schulleiter*innen ein großes Budget zur Verfügung und tragen die Verantwortung für die Schüler- und Lehrerschaft ihrer Schule. Während der Pandemie wurde besonders deutlich welche Schlüsselrolle in der Bildung diese Gruppe hat, für die, wie Pietsch pointiert formuliert, „sich niemand interessiert“. „Die Bildungsministerien veröffentlichten zwar Handreichungen zum schulischen Umgang mit der Pandemie – diese erschöpften sich aber in der Feststellung, dass Direktor*innen sich darum kümmern müssen. Typische Formulierungen der ministerialen Handreichungen waren zum Beispiel: ‚Die Schulleitung ist dafür verantwortlich, dass die Schülerinnen und Schüler erreicht werden. Die Schulleitung koordiniert die Zusammenarbeit der Lehrerinnen im Home Office. Die Schulleitung kontrolliert, ob die Schülerinnen die Aufgaben erhalten und etwas gelernt haben während der Zeit im Home Schooling.‘“

Pietsch berichtet, dass um die Jahrtausendwende herum einen tiefgreifenden Wandel in der Rolle der Schulleitung stattfand. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Direktor*innen „eher Lehrer*innen mit besonderen Aufgaben“: Gegenüber der Lehrendenschaft waren sie in erster Linie Verwaltungsbeamte, die das Funktionieren der schulischen Abläufe garantierten. Das Verhältnis zur Bildungsadministration erschöpfte sich darin, dass sie Geld und andere Ressourcen bekamen und diese dann verwalteten. Seitdem hat sich etwas geändert: „Schulleiter*innen sind nicht mehr Primus inter Pares, sondern vielmehr Anleiter, Feedbackgeber und Entwickler“, erklärt Pietsch, „mittlerweile haben sie richtige Führungsaufgaben, müssen Ideen generieren und festlegen, wo es mit der jeweiligen Schule hingeht. Schulleitung hat sich verlagert vom traditionellen ‚Wir versorgen die alle mit Ressourcen und gucken was passiert‘ hin zu ‚Wir haben Visionen und Ideen, wie wir Schule gut und wirksam gestalten wollen und prüfen, ob das auch gelingt‘.“

Damit geht eine spezifische Art der Führung einher. „Führung an Schulen unterscheidet sich von Führung in großen Unternehmen“, sagt Pietsch, „als Führungstypen sind an Schulen Menschen gefragt, die in Teams agieren und die Führung in Schulen auch verteilen können. Letztlich geht es darum, Personen mitzunehmen, zu fördern und fordern. Gleichzeitig dürfen Schulleitungen keine reinen Manager*innen sein, sondern benötigen auch Profiwissen über das Unterrichtsgeschehen. Die Daten zeigen, dass es einen positiven Zusammenhang dazwischen gibt, dass die Schulleiter*innen für die Frage ‚Was und wer sorgt wie dafür, dass die Schüler*innen etwas lernen?‘ sensibilisiert sind und dem Lernerfolg aufseiten der Schüler*innen.“

Infos zur Vita

Marcus Pietsch war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hamburg und Referent am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg. Nach Stationen am Hamburger Institut für Bildungsmonitoring und Qualitätsentwicklung sowie am Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen an der Humboldt-Universität zu Berlin promovierte er zum Thema ‚Qualität von Unterrichtsbeobachtungen im Rahmen von Schulinspektion‘ und übernahm anschließend die Vertretung der Professur für Educational Measurement an der Christian-Albrecht-Universität zu Kiel. 2019 wechselte Pietsch als Vertretungsprofessor an die Leuphana, wo er im Juni 2021 die DFG Heisenberg-Professur für Bildungsmanagement und Qualitätsentwicklung erhielt.

Mit den ausgesprochen prestigeträchtigen Heisenberg-Professuren fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft auffallend innovative Wissenschaftler*innen. Die Auszeichnung wird am häufigsten an Mediziner*innen und Physiker*innen verliehen. In den 45 Jahren des Bestehens des Heisenberg-Programms ging sie an gerade mal drei studierte Erziehungswissenschaftler*innen – einer davon ist Marcus Pietsch.