Der Wert der Natur

Forscherin erklimmt Kilimandscharo

23.01.2023 Während ihrer Krebsbehandlung bestieg Berta Martín-López den Kilimandscharo in Tansania, den höchsten freistehenden Berg der Welt. Die Professorin für Internationale nachhaltige Entwicklung und Planung am Social-ecological Systems Institute verwandelte ihre persönliche Herausforderung in einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung in der Region, indem sie eine Spendenaktion für tansanische Krebspatient*innen ins Leben rief.

Der Wert der Natur: Forscherin erklimmt Kilimandscharo, um Krebs zu heilen ©Berta Martin Lopez
Der Wert der Natur: Forscherin erklimmt Kilimandscharo, um Krebs zu heilen ©Berta Martin Lopez
Der Wert der Natur: Forscherin erklimmt Kilimandscharo, um Krebs zu heilen ©Berta Martin Lopez

Berta Martín-López‘ persönliches Engagement geht mit einem interdisziplinären Forschungsprojekt über die Beiträge der Natur zum Wohlbefinden der Menschen am Kilimanjaro einher. Um ihre Geschichte zu erzählen, lud sie Carsten Bruhn vom Hochschulsport der Leuphana ein, der sie ein Jahr vor der Besteigung zu trainieren begann, und ihre Doktorandin Milena Gross, mit der sie nicht nur eine Woche lang ein Zelt teilte, sondern auch die einmalige Reise zum Dach von Afrika.

Für Sie ist Nachhaltigkeit mehr als ein Job und der Kilimandscharo mehr als ein Forschungsgebiet. Warum haben Sie eine so persönliche Beziehung zu diesem Berg?
Berta: Meine Vorfreude auf das Forschungsprojekt Kili SES wurde im Jahr 2020 plötzlich durch die Diagnose Brustkrebs zunichte gemacht. Während der Chemotherapie in Lüneburg, in der dunkelsten Zeit meines Lebens, begann ich davon zu träumen, den Kilimandscharo zu besteigen. Dieser Traum wurde bald meine Motivation, die Krebsbehandlung fortzusetzen und mit dem Training zu beginnen. Der Aufstieg ist eine große Herausforderung: Wegen des Sauerstoffmangels leiden viele Bergsteigende an Höhenkrankheit; einige sterben sogar. Mein gesundheitlicher Zustand war aufgrund der Nebenwirkungen der Krebsbehandlung ein Jahr vor der Tour sehr schlecht. Deshalb habe ich mich an Carsten Bruhn gewandt, den Cheftrainer des Fitnessstudios an der Leuphana.
Carsten, wie haben Sie geholfen, Berta auf die Bergtour vorzubereiten?
Carsten: Erst bei unserem zweiten Treffen verriet Berta mir ihren Plan, den Kilimandscharo zu besteigen. Ich studiere Sport an der Leuphana und habe meinen Professor für Höhentraining konsultiert. In unserem kleinen Fitnessstudio konnte ich Berta nicht mit Sauerstoffmasken oder ähnlichem ausstatten. Also begannen wir mit einem Einsteigertraining für den ganzen Körper mit isolierten Bewegungen und Faszientraining. Im Laufe der Monate sahen wir große Fortschritte, aber auch große Rückschläge. Wir mussten also verschiedene Methoden für verschiedene Bedingungen entwickeln. Ich habe noch nie jemanden so hart trainieren sehen und war überrascht, dass sie immer wieder lächelte.
Warum haben Sie in diesen schwierigen Zeiten eine Spendenaktion ins Leben gerufen? 
Berta: Wir wollen Menschen in der Region unterstützen, die nicht so viel Glück haben wie ich und keine Krebsbehandlung bekommen können. Im Februar 2023 wollen wir die Spenden der Krebsstation des Kilimanjaro Christian Medical Center übergeben. Bis dahin ist die Spendenkampagne noch offen.
Berta und Milena, am 16. September 2022 haben Sie es dann auf den Gipfel des Kilimandscharo geschafft. Wie war das für Sie?
Berta: Die ganze Reise hat mir mental sehr gutgetan. Tag für Tag fühlte ich mich stärker und mehr verbunden, nicht nur mit der Natur, sondern auch mit dem Himmel - wir waren buchstäblich die meisten Tage über den Wolken -, mit dem Team und mit mir selbst. Es ist eine Reise, bei der Unterstützung und Gemeinschaft im Mittelpunkt stehen und bei der wir daran erinnert wurden, auf unsere Körper zu hören. Am Anfang riet unser Bergführer Kevin, langsam(er) zu gehen - "polepole", wie man auf Suaheli sagt. Manchmal brauchen wir alle Mitmenschen, die mehr in unsere Fähigkeiten vertraut als wir selbst.
Milena: Der Berg macht demütig, denn er lässt jede*n einzelnen Besteiger*in auf eine sehr elementare Weise Menschen sein, egal welche Rolle(n) er oder sie im täglichen Leben einnimmt. Für mich war sie eine Erinnerung und Überraschung zugleich, zu was ich fähig bin. Die Forschung am Kilimandscharo war eine viel größere Herausforderung als die Besteigung. Durchhaltevermögen war letztlich der Schlüssel zum Erfolg in beidem.
Worum geht es in Ihrem Forschungsprojekt Kili SES?
Berta: Wir untersuchen, wie die Natur zur Lebensqualität der Menschen rund um den Kilimandscharo beiträgt und warum die Natur für die Menschen wichtig ist. Seit 2021 forschen dort Wissenschaftler*innen von allen Kontinenten an tansanischen, schweizerischen und deutschen Universitäten. Ein Vorgängerprojekt hat zwar die biologische Vielfalt des Berges erforscht, aber die Menschen nicht berücksichtigt. Wenn wir die Natur erhalten wollen, müssen wir auch die Beziehung der Menschen zu ihr verstehen. Ihre wachsende Bevölkerung beansprucht die Ökosysteme immer stärker, sodass ihre Beiträge für die Menschen gefährdet sind. Mit unseren Ergebnissen wollen wir die wissenschaftliche Basis bieten für politische und gesellschaftliche Entscheidungen im Sinne eines nachhaltigen Lebens mit der Natur des Kilimandscharos.
Milena, Ihre Doktorarbeit an der Leuphana Universität Lüneburg ist in das Projekt am Kilimandscharo integriert. Was ist das Besondere an der Region?
Milena: Kilimandscharo ist ein Hotspot biologischer und kultureller Vielfalt und wurde 1973 zum Nationalpark und 1987 zum UNESCO Weltnaturerbe erklärt. Aufgrund des Höhengradienten gibt es dort verschiedene Ökosysteme, wie Savanne, Regenwald und alpines Buschland. Am Fuße des Berges betreibt der Chagga-Stamm eine Form der Agroforstwirtschaft. Der natürliche Reichtum deckt nicht nur ihre Grundbedürfnisse, sondern ermöglicht es ihnen auch, Geld zu verdienen und so Schulgebühren und Arztrechnungen zu bezahlen. Beeindruckend finde ich, dass der Kilimandscharo die Menschen über die Region hinaus bereichert: Der Berg versorgt beispielsweise Millionen von Menschen bis an die Küste des Indischen Ozeans mit Wasser und die Einnahmen aus den touristischen Aktivitäten werden mit Familien im ganzen Land geteilt.
Wie binden Sie die lokale Bevölkerung in Ihre Forschung ein?
Berta: Das Projekt respektiert lokales Wissen, indem wir Menschen, die am Kilimanjaro wohnen und reisen, im Tourismus und Naturschutz arbeiten, und viele weitere nach ihren Geschichten fragen. Unsere integrative Forschung stützt sich nicht nur auf Worte als Ausdrucksmittel, sondern auch auf Kunst, die zeigt, wie Menschen die Natur schätzen. Zum Beispiel wenden wir die Methode der Fotostimme an. Dabei stellen Wissenschaftler*innen Leitfragen wie: Welcher Ort weckt bei Ihnen schöne Erinnerungen? Mit welchem Ort fühlen Sie sich am meisten verbunden? Das beantworten die Teilnehmer*innen mit Fotos, die wir mit ihren Erzählungen unter anderem auf die sozialen und spirituellen Werte der Natur analysieren.
Berta, Sie waren nicht die erste, die den Kilimandscharo nach einer Krebserkrankung besteigen wollte. Tatsächlich zeigen Studien, dass diese Reise anderen Brustkrebsüberlebenden geholfen hat, ihr Wohlbefinden zu steigern. Warum ist das so?
Berta: Es gibt Parallelen zwischen den Herausforderungen der Krebsbehandlung und der Bergbesteigung. Bei beiden kann man nur einen Schritt vor den anderen setzen. Wer eine Krebsbehandlung durchmacht, erkennt den eigenen Körper nicht mehr. Die Tour auf den Kilimandscharo hat mir geholfen, mich mit meinem Körper zu versöhnen; ich habe das Vertrauen in ihn wiedergefunden. Sie half mir, das Wunder unserer Körper und ihre Heilungskraft, zu erkennen. Aber ich denke, der Hauptgrund ist, ein Ritual zu haben, um von der kranken in die gesunde Welt zu wandern. In unserer Gesellschaft gibt es Rituale für große Lebensereignisse: Liebesheirat, Eintritt ins Erwachsenenalter, Geburt und Tod; aber wir haben keine Rituale, um etwas so Wichtiges zu feiern: das Leben nach einer Krebserkrankung. Doch es gibt kein Ritual, das uns bei diesem Übergang hilft. Für mich wurde die Besteigung des Kilimandscharo zu diesem Ritual, zur Feier des Widerstands und der Wiedergeburt.
Sie werden im Februar wieder nach Tansania reisen. Was sind Ihre Pläne?
Milena: Oft sammeln Wissenschaftler*innen nur Daten und verlassen dann das Forschungsgebiet, ohne ihre Erkenntnisse den Menschen vor Ort zu präsentieren. Wir sehen das kritisch. Wir wollen daher denjenigen unsere Ergebnisse zeigen, die zu ihnen beigetragen haben und für sie interessant und relevant sind. Ohne die Hilfe von Menschen, die aus eigener Motivation heraus unser Projekt auf ihre besondere Weise unterstützen, hätten wir keinen Erfolg gehabt. Dafür möchten wir ausdrücklich danken. Für Februar planen wir eine Outreach-Tour an acht Orten wie der Behörde des Kilimandscharo Nationalparks, in ausgewählten Dörfern, aber auch an der internationalen Schule in Moshi. Wir haben ein Ausstellungsformat gewählt, das zugänglich und verständlich ist und Fotos, Malereien sowie Poster umfasst. Wir hoffen auch, den Teilnehmenden die Möglichkeit zu geben, sich zu vernetzen.
Berta: Wir freuen uns darauf, die nächsten Forschungsfragen gemeinsam mit den Akteur*innen am Kilimandscharo formulieren. Außerdem möchte ich mich bei allen Wegbegleiter*innen bedanken, die meine Reise unterstützt haben. Dazu gehören nicht nur das Forschungsteam und Carsten Bruhn, sondern auch das exzellente Onkolog*innen-Team des Brustkrebszentrums Lüneburg unter der Leitung von Prof. Dall und das wunderbare Team, das uns auf den Gipfel des Kilimandscharo geführt hat, koordiniert von Sophie Agustino, CEO von Matriarch Hill Safari.
Vielen Dank!

Das Interview führte Stella Eick von der Fakultät Nachhaltigkeit.