Gegen Gewaltbilder in ostafrikanischen Medien. LIAS-Fellow Lydia Ouma Radoli
24.01.2024 Anfang März endet das Fellowship von Lydia Radoli, die ein Jahr als Stipendiatin am LIAS zum Phänomen der visuellen Zeugenschaft von Traumata unter Journalisten in Ostafrika forschte. Herausgekommen sind zahlreiche Aufsätze, internationale Vorträge und eine zunkunftsweisende Vernetzung.
Zehntausend Kilometer zwischen Nairobi und Lüneburg schrecken Lydia Radoli, Medien- und Kommunikationswissenschaftlerin aus Kenia nicht – auch dann nicht, wenn einiges zusammen kommt: eine Reise mit einem spannenden Forschungsaufenthalt, bei der die Mittvierzigerin die Betreuung des Kindes im Vorschulalter, das neue Umfeld, eine neue Schule, eine neue Sprache und viele Fragen unter einen Hut bringen musste. An den Beginn ihres Fellowships denkt sie gern zurück: „Meine Reise nach Lüneburg und an die Leuphana begann, als ich am 6. April im vergangenen Jahr auf dem Hamburger Helmut-Schmidt-Flughafen landete, mit zwei Koffern und meinem 9-jährigen Sohn im Schlepptau.“ Die Fragen ihres neunjährigen Sohnes begannen schon auf der Taxifahrt zwischen Flughafen und Rotem Feld beim Anblick der Porsches, BMWs und Volkswagen auf der Straße: "Sind wir in Deutschland, Mama?" und „Was ist Dein Lieblingsauto?“
Schon während der Eröffnungstage des LIAS hatte sie Gelegenheit im Workshop „LIAS Intervention in Media. Visuals and Trauma in Journalism“ ihr Netzwerk auszubauen. Sie brachte Journalist*innen aus Kenia, Uganda, Ruanda sowie Redakteure, Vertreter des Medienrats aus Ostafrika für geladene LIAS-Stipendiaten, Medienwissenschaftler und Journalisten aus Deutschland zusammen, um die theoretischen und konzeptionellen Dilemmata der Trauma-Berichterstattung zu hinterfragen. Dabei sprachen die Journalist*innen über ihre Trauma-Erlebnisse und Radoli konnte dank des LIAS Kontakt zum internationalen Dart Center der Columbia Journalism School in New York aufbauen, dem renommiertesten Netzwerk zum Thema Journalismus und Trauma. Hier kann sie weitere Kontakte zu betroffenen Journalist*innen aufbauen und von den zahlreichen globalen Experten längerfristig profitieren.
In Ostafrika dethematisiert: Trauma im Journalismus
In ihrer Forschung fragt sich die ehemalige Journalistin, ob sich Berichterstatter*innen in ihrer Arbeit überhaupt erlauben können, verletzlich zu sein? Abgesehen von den ethischen Anforderungen, Bilder auszuwählen, die für die Ausstrahlung geeignet sind, liegt natürlich die Frage nahe, wie Journalisten während des Produktionsprozesses mit den Extremen der Rohbilder umgehen. Welche Auswirkungen haben die Mehrfachbelichtungen, die bei der Aufnahme, Auswahl, Bearbeitung, Wiedergabe und Überprüfung auftreten? Verschlimmert der Prozess der Überbelichtung das Trauma oder waren es die Erfahrung der ständigen Berichterstattung, die das Trauma aulösten? Tatsächlich scheint gerade die redaktionelle Arbeit ein Trauma zu beeinflussen.
„Schnell fand ich heraus, dass es zu der Situation der Journalist*innen in Ostafrika praktisch kaum Literatur gibt“, so Radoli. „Als ich anfing, mit Journalisten zu sprechen, wurde mir klar, dass ich vor allem diejenigen fragen musste, die Bilder in Form von Fotografien und Videos festhalten – die visuellen Rhetoren.“ Der Begriff „ visuelle Rhetoren“ mag etwas fremd klingen, insbesondere wenn in der Alltagssprache eher von Bildjournalist*innen die Rede ist. Aber er umfasst ganz allgemein diejenigen, die Zeugen von Gewalt sind und visuelle Bilder produzieren und ermöglicht es, die Bilder innerhalb der Disziplin der Rhetorik zu interpretieren: als Bilder zur Erreichung eines Kommunikationsziels, z. B. zur Beeinflussung von Einstellungen, Meinungen und Überzeugungen.
„Es ist wirklich schwer, Journalist*innen für meine Studien zu befragen. Ich war immer darauf bedacht, sie nicht erneut zu traumatisieren“, erzählt Radoli von ihrer Forschung. „Wir hielten inne, machten Witze, lachten, nahmen bei Tee und Mandazi's oder Samosa schließlich die Fäden der Erzählungen wieder auf und verwoben sie miteinander, bis die Geschichte vollständig war. Ich habe auch mit psychosozialen Experten gesprochen, deren Beiträge wichtig waren, um die Aspekte des Traumas zu analysieren, die nicht in meinem Medien- und Kommunikationsbereich lagen.“
LIAS ermöglicht Reisen und Forschen mit hohem Impact-Faktor
Lydia Radoli sieht einen hohen Impactfaktor in ihrer Forschung: Gesprächsrunden, etwa in Rundfunk-Formaten und für Podcasts oder Blogs können helfen, Inhalte aus Gesprächen mit Journalisten, psychosozialen Experten, Medienredakteuren, Medienräten und Entscheidungsträgern zu teilen. Auch über ihr Web-Projekt Diaspora Radio möchte sie praktische Fragen verbreiten.
Mit Unterstützung des LIAS konnte Radoli nach Amerika und Spanien reisen. Im Herbst 2023 brach sie mit ihrem Sohn nach Madrid zu einer Konferenz an der Universität Complutense auf. Während Radoli über das Schweigen in ostafrikanischen Redaktionen und unter den Journalisten in Ostafrika sprach, kümmerte sich die Uni um die Kinder. „Es war eine aufregende Erfahrung für mich als Mutter und Forscherin, zu sehen, welche Möglichkeiten es gibt, Elternschaft mit Bindung, Reisen und akademischem Austausch zu verbinden. Wir trafen eine andere Mutter aus den USA, die mit ihrer 3-jährigen Tochter reiste. Die Kinder hatten nach den Sitzungen Zeit zum Spielen, während die Eltern diskutierten.“ So traf sie mutige Gleichgesinnte und brachte innerhalb ihres einjährigen Forschungsstipendiums mit Ruhe und Überblick alles unter einen Hut.
Das LIAS in Culture and Society richtet sich primär an internationale Forschende in ihrer frühen Karrierephase, die sich mit ihrer Forschung in die Programmatik des Instituts einbringen möchten. Hier finden Sie Informationen zur Bewerbung.