Entrepreneurship in Zeiten gesellschaftlicher Krisen
10.06.2025 „Entrepreneurs of Chaos?“ Wissenschaftler*innen aus Europa, Indien und den USA kamen am 19. und 20 Mai zu einer internationalen Konferenz unter diesem Titel an der Leuphana Universität Lüneburg zusammen. Sie diskutierten Chancen und Herausforderungen von Entrepreneurship in Zeiten gesellschaftlicher Krisen.
Wie kann Entrepreneurship jenseits des vorherrschenden disruptiven Verständnisses von Entrepreneurship neu gedacht werden? Welche Potenziale ergeben sich, wenn man die gestaltende Wirkung von Disruption in Frage stellt? Und wie kann Innovation das soziale, ökologische und kulturelle Gleichgewicht unterstützen, statt zu zerstören und zu destabilisieren?
„Viele reden von Interdisziplinarität, wir haben sie mit dem Symposium wirklich gelebt. Das war äußerst spannend“, sagt Prof. Dr. Matthias Wenzel von der Leuphana Social Innovation Community, der die Konferenz mitorganisiert hat. Daran beteiligt waren Wissenschaftler*innen aus der Management- und Organisationsforschung, der Kultur- und Medienwissenschaften sowie der Philosophie.
„Besonders die Vielschichtigkeit, die sich durch verschiedene Blickwinkel eröffnet, hat unsere Arbeit einen guten Schritt vorangebracht: Disruption und Entrepreneurship können eben nicht einspurig gedacht werden. Entrepreneurship findet abseits des Mainstreams in so vielen Facetten statt und trägt – sowohl konstruktiv als auch destruktiv – entscheidend zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung bei. Wichtig ist nun, dass diese Erkenntnis auch in die Praxis findet.“ Das geschieht unter anderem in der Leuphana Social Innovation Community. Die Forschenden aus dem Projekt haben nun neue Facetten kennengelernt, um soziale Innovationen mehrdimensional zu bewerten und ihre Relevanz für die Gesellschaft in ein neues Licht zu rücken.
Wenzel hat die Konferenz gemeinsam mit Igor Galligo als Hauptorganisator sowie mit Prof. Dr. Elke Schüßler und Prof. Dr. Erich Hörl ins Leben gerufen. Die Veranstaltung fand im Rahmen der Forschungsinitiative „The Disruptive Condition“ statt. Prof. Dr. Markus Reihlen, Vizepräsident der Leuphana für Entrepreneurship, Transfer und Internationalisierung, sowie Prof. Dr. Steffen Farny bereicherten die Konferenz durch ihre Diskussionsbeiträge. Sie gehören ebenfalls der Leuphana Social Innovation Community an.
Ein neues Verständnis von Entrepreneurship
Insbesondere haben die Teilnehmenden den von Disruption geprägten Diskurs zu Entrepreneurship hinterfragt. Unter dem Titel „Entrepreneurship of Chaos? From Disruptive Innovation to Negentropic Entrepreneurship” mobilisierten die Teilnehmenden den durch den französischen Philosophen Bernard Stiegler geprägten Begriffsapparat für eine mögliche Reformulierung von Entrepreneurship. Stiegler hat unter anderem unser heutiges Leben in einer globalisierten Gesellschaft (jeweils gebrochen durch Class, Race und Gender) als Leben in der Disruption begriffen und die Suche nach möglichen Auswegen als unsere Aufgabe formuliert.
Als Fallbeispiel haben die Beiträge Indien in den Blick genommen und unter anderem Bangalore als oft betiteltes ‚Indian Silicon Valley‘ diskutiert. Wie Neharika Vohra, Professorin für Organizational Behaviour, Indian Institute of Management, Ahmedabad in einem Beitrag präsentierte, verschleiert der Begriff des ‚Indian Silicon Valley‘ mehr als er aufdeckt. Denn ohne eine Veränderung der Technologiebranche in Bangalore hin zu Gerechtigkeit in Infrastruktur, mentalem Wohlergehen, lokaler Innovation und Autonomie laufe Bangalore Gefahr, ein neo-koloniales Output zu werden.
Diese Intervention griff Prof. Dr. Erich Hörl, Professor für Medienkultur und Medienphilosophie an der Fakultät für Kulturwissenschaften auf. Durch die dichte Beschreibung Neharika Vohras wurde der zerstörerische Einfluss disruptiven Entrepreneurships auf Kultur und Sozialleben einer Gesellschaft deutlich: „Als Kulturwissenschaftler arbeiten wir an einer Auslegung der Gegenwart, in dem wir sie benennen. Die Evidenz tritt in den Hintergrund. In diesem Symposium ist es uns gelungen, durch viele praxisnahe Beispiele, nicht nur aus Indien, einen tieferen Einblick in die destruktiven Effekte disruptiven Entrepreneurships, aber auch in mögliche Gegenstrategien zu erlangen“, kommentierte Hörl. „Insbesondere ist klar geworden, wie wichtig das lokale Wissen aus dem sogenannten Globalen Süden für die Suche nach alternativen also gegen-disruptiven Modellen ist. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, den interdisziplinären Austausch über die Hemisphären hinweg weiter zu intensivieren.“
So erreichen Sie uns:
- Igor Galligo
- Prof. Dr. Erich Hörl
- Prof. Dr. Elke Schüßler
- Prof. Dr. Matthias Wenzel