Schule und Universität offener und flexibler denken

15.09.2025 Gemeinsam Schule besser machen – das ist das Ziel der Leuphana Innovation Community Schulentwicklung und Leadership. Auf der Communicorn Konferenz vom 16. bis 17. September diskutiert die Community mit Bildungsakteur*innen über neue Konzepte und Ideen – darüber hinaus trifft sich erstmals eine Arbeitsgruppe aus internationalen und nationalen Expert*innen, um eine Universitätsschule für Lüneburg zu entwickeln. Prof. Dr. Marc Kleinknecht spricht im Interview darüber, was sich in Schule und Lehrkräftebildung ändern muss und welche Chancen die Zusammenarbeit von Schule und Wissenschaft birgt.

©Leuphana
"Schulen sind mindestens teilautonom in ihren Entscheidungen. So werden Schulleitungen und verantwortungsbereite Lehrkräfte zu Gestalter*innen ihrer Schule", sagt Prof. Dr. Marc Kleinknecht

Es heißt oft, das Schulsystem sei veraltet. Wir brauchen mehr Digitalisierung, mehr individuelles Lernen. Wie können wir uns aus diesem Dilemma befreien?

Wir brauchen mehr Menschen, die an Schule gemeinschaftlich Verantwortung übernehmen. Nur so können wir offener und flexibler Probleme identifizieren und Lösungen entwickeln. Schule war schon immer ein Abbild der Gesellschaft, in Krisenzeiten spiegeln sich auch gesellschaftliche Probleme in der Schule wider. Wenn die Herausforderungen wachsen, dann muss auch Schule mehr leisten. Lehrkräfte dürften längst keine Einzelkämpfer*innen mehr sein, müssen sich gegenseitig helfen, aber auch Unterstützung aus der Stadt, dem Kreis und der Wissenschaft erhalten. Insbesondere in Zeiten des Lehrkräftemangels braucht es eine neue Form der Kollaboration von Schule, Eltern, Politik, Verwaltung und Universitäten. Alle müssen sich unterhaken und überlegen: Wie machen wir Schule gemeinsam besser?

Und wie sieht das konkret aus?

Schulentwicklung heißt heute, die einzelne Schule muss sich entwickeln. Wir sind weg von der Vorstellung, dass eine Ministerin oben am Rad dreht und sich unten alles bewegt. Schulen sind mindestens teilautonom in ihren Entscheidungen. So werden Schulleitungen und verantwortungsbereite Lehrkräfte zu Gestalter*innen ihrer Schule. Sie entwickeln ein Profil und stehen im Ideenwettbewerb mit anderen Schulen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht kooperieren sollten – im Gegenteil. Sie können in der Zusammenarbeit neue Konzepte kennenlernen und für ihre Schule adaptieren. Man kann auch an anderen Schulen hospitieren und Netzwerke bilden. Es mangelt nicht an guten, wissenschaftlich fundierten Konzepten. Auch in Lüneburg haben sich Schulen schon lange auf den Weg gemacht. Etwa eine Schule im Stadtzentrum, die Schülerfirmen gründet, um Jugendlichen beizubringen, anders zu lernen und den Alltag an ihrer Schule mit zu verändern. Ihre Firmen haben sie an der Leuphana präsentiert.

Also gibt es gute Ansätze, aber es fehlt an Systematik?

Genau. In der Wissenschaft sprechen wir von datenbasierter Schulentwicklung. Schulen müssen wissen, wo ihre Schüler*innen stehen und wie sie lernen. Als Ergebnis zählt dabei nicht nur Leistung, sondern auch Motivation und Wohlbefinden. Eine gute Schule strebt alle drei Ziele an. Die Herausforderung ist, Daten auf unterschiedliche Arten zu erheben, durch flüchtige Beobachtung und standardisierte Verfahren. Der Blick auf die einzelnen Lernenden und ihr Lernen ist elementar, die Unterrichtsentwicklung muss auf verbessertes, nachhaltiges Lernen zielen. Dafür brauchen wir einen auf Lernprozesse und -strategien fokussierten analytischen Blick sowie eine realistische Maßnahmenplanung durch Lehrkräfte und Schulleitungen, die nicht allein agieren, sondern Führungsaufgaben teilen. Also Leadership, das sich am Lernen der Schüler*innen, der Lehrkräfte und aller an Schule Beteiligten orientiert.

Aber gerade ächzen viele Schulen ja zum Beispiel unter Fachkräftemangel und maroder Infrastruktur. Wie sollen sie da noch Neues ausprobieren?

Das ist tatsächlich die große Gefahr. Manche Schulen in schwieriger Lage sind überfordert, kämpfen mit Lehrkräfte- und Schulleitungsmangel. Genau diese Schulen brauchen aber mehr Ressourcen – Geld, Personal, Unterstützung durch Programme wie das Startchancen-Programm. Wir müssen die besten Schulleitungen und Lehrkräfte für die schwierigsten Schulen gewinnen, vielleicht mit Anreizen wie einer besseren Ausstattung und guten Lernbedingungen. Menschen, die sich gerne für schwache Schulen einsetzen, müssen an diese Schulen kommen. Es gibt prominente Beispiele, wie es gehen kann, gerade unter den Schulpreisschulen. Daran sieht man, was möglich ist, wenn Politik, Verwaltung, Stadtgesellschaft, Schulleitung und Lehrkräfte zusammenarbeiten.

Sie möchten insbesondere die Wissenschaft näher an Schule bringen, zum Beispiel mit einer Universitätsschule in Lüneburg. Was steckt dahinter?

Eine Universitätsschule hätte drei wesentliche Aufgaben – wie eine Universitätsklinik. Erstens: optimale Versorgung, also eine Schule für alle, die evidenzbasiert zeigt, dass auch schwierige Probleme lösbar sind. Zweitens: Forschung vor Ort in direktem Zusammenspiel mit der Praxis. Drittens: Aus- und Fortbildung von Lehrkräften. Wir können unsere besten Studierenden dort lernen lassen unter besten Bedingungen, die alle mitverantworten. Das wäre ein Modell für ganz Norddeutschland.

Und wie realistisch ist das?

Wir sind durch die Leuphana Innovation Community Schulentwicklung und Leadership gut vernetzt und prüfen gerade verschiedene Szenarien. Vielleicht entsteht die Schule auf dem Campus, vielleicht wächst eine bestehende Schule in diese Rolle hinein. Der Bedarf ist in jedem Fall da. Klar ist: Sie müsste öffentlich sein, keine Privatschule. Und sie müsste alle Jahrgänge von der 1. bis 13. Klasse abdecken, am besten als integrierte, inklusive Gesamt- oder Gemeinschaftsschule. So könnten wir zeigen, was möglich ist – evidenzbasiert, wissenschaftsnah und zugleich mitten in der Praxis. Viele Schulleitungen erkennen in Zusammenarbeit mit uns, dass Veränderungen mit der Universität an der Seite schneller gehen können. Die Leuphana wird als Türöffnerin verstanden. Wir können so zwar nicht die ganze Welt auf einmal verändern, aber die Universitätsschule kann deutlich machen, was in der Lehrkräftebildung und Schulentwicklung möglich ist.

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