Bildungsregion Lüneburg will Schule verändern
Innovation Community Schulentwicklung und Leadership
15.10.2025 Gemeinsam mit dem Landkreis Lüneburg arbeitet die Leuphana Innovation Community Schulentwicklung und Leadership an der Bildungsregion Lüneburg. Anhand empirischer Forschungsergebnisse soll das System Schule inklusiver werden. Dafür brauche es einen Perspektivwechsel, so Prof. Dr. Simone Abels, Expertin für inklusiven Unterricht, und den Mut, gemeinsam Schule neu auszurichten.

In einer idealen Welt: Wie sähe Schulentwicklung und -bildung aus, wenn Diversität und Inklusion optimal gelebt würden?
In einer idealen Welt bräuchten wir den Begriff der Inklusion gar nicht, da alle selbstverständlich Teil des Ganzen wären. Häufig genutzte Begriffe wie „Inklusionskinder“ zeigen, wie sehr die Idee von Inklusion immer noch nicht verstanden wird. Ideale Schulentwicklung würde sich meines Erachtens für das tatsächliche Lernen und Zukunftskompetenzen interessieren sowie Curricula flexibel an den relevanten Kontexten des 21. Jahrhunderts ausrichten, statt beispielsweise immer noch an Noten, Prüfungen im Gleichschritt, einem veralteten Fächerkanon oder unpassend genutzter Standardisierung von Kompetenzen.
Das Ideal scheint so noch nicht greifbar. Wo liegen aus Ihrer Sicht aktuell die größten Herausforderungen?
Neben fehlende Ressourcen und mangelnder Professionalisierung ist vor allem die Haltung aller beteiligten Akteur*innen entscheidend, wie zahlreiche Studien belegen. Dabei sehe ich ein großes Problem in unserem Inklusionsverständnis. Wir argumentieren viel zu personenzentriert statt systemisch. Ein paar Beispiele: Erscheinen die Ergebnisse großer Schulleistungsstudien wie PISA, dann titeln die Medien, teilweise aber auch wissenschaftliche Beiträge: „Deutsche Schüler schneiden so schlecht ab wie nie“. Dabei evaluieren diese Studien eigentlich die Leistung der Bildungssysteme im internationalen Vergleich. Oder betrachten wir das Thema Unterrichtsstörungen in heterogenen Klassenräumen: Meist sind die Schüler*innen diejenigen, die als störend deklariert werden, anstatt sich anzuschauen, ob die Lernumgebung eigentlich anregend und lernförderlich gestaltet ist.
Was braucht es denn, um diese Herausforderungen zu überwinden?
Als Naturwissenschaftsdidaktikerin liegt mein Fokus besonders auf Fachlehrkräften. Wir arbeiten derzeit daran, die Perspektive der Lehrenden zu verändern. Es macht einen großen Unterschied, ob ich sage, du kannst die Fachsprache nicht, oder ob ich zugebe, dass Fachsprache etwas hoch Anforderungsvolles ist und dann Zugänge schaffe, die allen Schüler*innen helfen. Das Setting, der Raum, das Lernangebot sind hier entscheidend und adaptiv gestaltbar. Wir differenzieren nicht auf diagnostizierte Lernvoraussetzungen hin – das würde die Schüler*innen nur unnötig stigmatisieren. Wir gestalten das Lernangebot zugänglich. Und unsere Lernbegleitung fokussiert sich auf die Barrieren, die sich in der Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand zeigen.
Wo steht Lüneburg diesbezüglich gerade und welche Chancen sehen Sie für die Region?
Lüneburg hat sich als Bildungsregion gemeinsam auf den Weg gemacht, Schule zu verändern. Akteur*innen aus Stadt und Landkreis stehen mit uns Wissenschaftler*innen der Leuphana, der Politik, Eltern- und Schüler*innenvertretungen etc. in engem Kontakt, um Schüler*innen bestmögliche Lernumgebungen zu bieten und gleichzeitig Lehrkräfte und pädagogische Mitarbeitende zu entlasten. Die Leuphana Innovation Community Schulentwicklung und Leadership ermöglicht Begegnungsräume zu den wichtigsten Themen der Schulentwicklung: KI, Nachhaltigkeit, Demokratie, Diversität. So können Wissenschaft und Schulpraxis voneinander lernen und sich gegenseitig bereichern.
Diese Zusammenarbeit ist ein großer Fortschritt. Wer wirklich etwas bewegen wollte, konnte dies über lange Zeit nur durch „Ungehorsam“ dem System gegenüber. Das muss ein Ende haben und Evidenzen der empirischen Bildungsforschung ernst genommen werden, um sinnhaft Schule zu entwickeln.
Sie haben die Zusammenarbeit von Schule und Universität schon angesprochen. Wie kann Wissenschaft konkret unterstützen, die Probleme an Schulen zu lösen?
Auf Basis belastbarer empirischer Forschungsergebnisse können wir die Bildungspolitik, Seminarleitungen der 2. Phase, Schulleitungen und Lehrkräfte beraten. Unsere Arbeit wäre sehr viel wirksamer, wenn das Kultusministerium, die Regionalen Landesämter für Schule und Bildung (RLSB) und die Schulen mit uns auf ein Data Warehouse zugreifen würden, um evidenzbasierte Schulentwicklung in Niedersachsen zu betreiben. Derzeit beobachten wir hoch engagierte Schulen, die sich transformieren wollen, dies aber nach einem trial-and-error-Prinzip tun. So dauern Prozesse bis zu 20 Jahre. Das könnten wir gemeinsam abkürzen. Dafür müssen Politik, Wissenschaft und Praxis gemeinsam agieren, um das System zu verändern und Schüler*innen als die tollen Persönlichkeiten wertzuschätzen, die sie sind.