Verabschiedung: Prof. Dr. Emer O’Sullivan - E wie Enid

01.09.2025 Alice im Wunderland, Pippi Langstrumpf oder Harry Potter: Die Professorin für Englische Literatur forscht seit über 30 Jahren zu Kinder- und Jugendbüchern – insbesondere im Bereich der Komparatistik. Eine Autorin mag die scheidende Professorin ganz besonders.

©Leuphana/Tengo Tabatadze
Schon als Schülerin verschlang sie Bücher aus der öffentlichen Bibliothek und verliebte sich auch in deutsche Literatur: „Heinrich Böll und Bertholt Brecht faszinierten mich“, erinnert sich die Professorin.

Emer O’Sullivan und Enid Blyton haben etwas gemeinsam: Das halbrunde E, dessen Mittelstrich in den nächsten Buchstaben schwingt. Junge und alte Leser*innen kennen die ikonische Unterschrift Enid Blytons. Auf jedem Buchdeckel der „Fünf Freunde“, jeder „Abenteuer“-Hörspiel-Kassette ist ihr Name abgedruckt. Die Ähnlichkeit zur eigenen Signatur bemerkte Emer O’Sullivan erst vor kurzem auf einer Tagung zur britischen Autorin: „Ich habe ihre Bücher als Kind geliebt und wohl ihre Unterschrift nachgeahmt. Das hatte ich inzwischen vergessen.“

Emer O’Sullivan wuchs in Dublin auf, der Stadt mit der höchsten Schriftsteller-Dichte Europas und den meisten Literatur-Nobelpreisträgern der Welt. Schon als Schülerin verschlang sie Bücher aus der öffentlichen Bibliothek und verliebte sich auch in deutsche Literatur: „Heinrich Böll und Bertholt Brecht faszinierten mich“, erinnert sich die Professorin. Um beide Autoren im Original lesen zu können, lernte Emer O’Sullivan Deutsch. Nach ihrem Studium am University College Dublin ging sie nach Berlin und schloss an der FU Berlin ihre Promotion zum ästhetischen Potential von nationalen Stereotypen an. Emer O‘Sullivan beschäftigte sich darin mit dem Englandbild in deutscher Kinder- und Jugendliteratur nach 1960. Die Imagologie, Komparatistik und interkulturelle Hermeneutik bleiben bis heute Schwerpunkte ihres Wirkens. 

Emer O‘Sullivan habilitierte am renommierten Institut für Kinder- und Jugendbuchforschung an der Goethe-Universität Frankfurt. Ihre Abhandlung „Kinderliterarische Komparatistik“ gilt als wegweisend und wurde mit dem IRSCL-Preis für herausragende Forschung ausgezeichnet. Die englische Ausgabe erhielt 2007 den Buchpreis der Children's Literature Association. Zudem wurde Emer O’Sullivan jüngst von der Internationalen Forschungsgesellschaft für Kinder- und Jugendliteratur in Salamanca/Spanien zum Honorary Fellow (Ehrenmitglied) ernannt. Im kommenden Jahr nimmt sie den Internationalen Grimm-Preis für Kinderliteraturforschung in Osaka/Japan entgegen. Damit hat Emer O’Sullivan die wichtigsten internationalen Auszeichnungen innerhalb ihrer Disziplin erhalten. 

Aber Emer O’Sullivan ist nicht nur Wissenschaftlerin. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Sprachforscher Prof. Dr. Dietmar Rösler, verfasste sie zahlreiche deutsch-englische Kinder- und Jugendbücher wie „I like you - und du?“. Für beide und alle anderen Schriftsteller eine gute Nachricht: Junge Menschen lesen wieder mehr. Plattformen wie Booktok oder Social Media sei Dank. 

Aber auch die Hochschullehrerin Emer O’Sullivan schaffte es mit ihrer engagierten Lehre, für Literatur zu begeistern: Gemeinsam mit dem Literaturbüro Lüneburg und ihren Seminaren im Komplementärstudium lud sie zu Literaturfesten ins Heinrich-Heine-Haus ein: Ulysses, Harry Potter, Alice im Wunderland oder zuletzt den 100. Geburtstag des Großen Gatsby feierten sie mit Aufführungen, Installationen, Ausstellungen, Musik und Kostümen. Emer O’Sullivan lebte mit ihren Studierenden Literatur. 

Nun geht Emer O‘Sullivan in den Ruhestand und nimmt ihre große Liebe zu Büchern mit – genauso wie die vielen Ausgaben von Sherlock Holmes, Harry Potter, Lewis Carroll Jane Austen oder Oscar Wilde. Während der vielen Jahre ihres Wirkens an der Leuphana hat sie Schmuckausgaben, fremdsprachige Bilderbücher und wissenschaftliche Werke zusammengetragen und in den deckenhohen Regalen ihres Büros gesammelt. Auch Bücher von Enid Blyton sind dort zu finden. Mit ihr hat Emer O’Sullivan übrigens nicht nur das E in der Unterschrift gemeinsam: Die berühmten Kinderbuch-Zwillinge Hanni und Nanni heißen im Original O’Sullivan, berichtet die Professorin - und lächelt.

Emer O’Sullivan studierte Anglistik, Germanistik und Hispanistik am University College Dublin (Bachelor) sowie Germanistik und Anglistik an der Freien Universität Berlin (Magister). 1999 habilitierte sie an der Goethe-Universität Frankfurt. Nach einer Lehrstuhlvertretung an der Universität Essen wurde Emer O’Sullivan Hochschuldozentin am Institut für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität Frankfurt. 2004 nahm sie den Ruf an die Leuphana Universität Lüneburg an. Seit 2018 war sie Vertreterin der Universität im Stiftungsrat sowie Studiendekanin für das Leuphana Semester und Komplementärstudium. Zudem war sie Vorsitzende der Promotionskommission und beriet Studierende als Vertrauensdozentin der Studienstiftung des deutschen Volkes. Seit fast zehn Jahren ist die Literaturwissenschaftlerin Mitherausgeberin des Jahrbuchs der Gesellschaft für Kinder- und Jugendliteraturforschung, das sich insbesondere auf deutschsprachige Werke konzentriert. Als Vorsitzende des Literaturbüros Lüneburg seit 2013 betreute sie viele Projekte und pflegte die Verbindung von der Leuphana zur Stadtgesellschaft.

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  • Prof. Dr. Emer O'Sullivan