Neu an der Leuphana: Oliver Genschow - „Nachahmung und freier Wille“

20.01.2023 Oliver Genschow ist Heisenberg-Professor für Psychologie, insbesondere Kognitions-, Sozial- und Wirtschaftspsychologie, am Institut für Management und Organisation. In einem Forschungsschwerpunkt untersucht er, wie und warum Menschen einander nachahmen.

Prof. Dr. Oliver Genschow bei der Ernennung zum Heisenberg-Professor ©Leuphana/Marie Meyer
Prof. Dr. Oliver Genschow bei der Ernennung zum Heisenberg-Professor

Kennen Sie das? Man sitzt zusammen, jemand gähnt und nach und nach gähnen alle – unabhängig davon, ob sie müde sind oder nicht. Man selbst gähnt auch. Das passiert so automatisch, dass es einem an sich selbst kaum auffällt.
Oder: Zwei Menschen führen ein Gespräch, das beiden wichtig ist, etwa ein Job-Interview oder ein Date. Die eine Person überschlägt die Beine (überkreuzt die Arme vor der Brust, schaut auf die Uhr, greift sich ins Haar etc.) und die andere macht es auch. Solche Nachahmung findet dauernd statt und zwar gleichermaßen bei nonverbalem Verhalten, bei Sprache und bei Emotionen. Hier setzt die Forschung von Oliver Genschow an: „Ich interessiere mich dafür, wie Nachahmung genau funktioniert. Warum imitieren Menschen einander, was hat das für soziale Implikationen und wie funktioniert das auf neurophysiologischer Ebene?“

Es spricht einiges dafür, dass Imitation durch ein sogenanntes Spiegelneuronen-System bedingt ist. „Hinter dem Begriff ‚Spiegelneuronen‘ steckt die Idee“, erklärt Genschow, „dass die Beobachtung und Durchführung einer Handlung neurophysiologisch sehr ähnlich sind. Wenn ich z. B. jemanden sehe, der sich an der Nase berührt, aktiviert das ähnliche Areale im Gehirn als hätte ich selber meine Nase berührt. Das beobachtete Verhalten bahnt also quasi das eigene Verhalten vor.“ Dabei hat Imitation ganz konkrete sozialpsychologische Vorteile, wie Genschow hinweist: „Babies und Kinder lernen sehr stark durch Nachahmung – sie plappern nach, was die Eltern sagen, schauen sich sehr genau an, was ihre Eltern oder älteren Geschwister machen und eignen sich deren Verhaltensweisen dadurch an. Daneben erfüllt Nachahmung auch eine soziale Funktion: Wenn ich von jemanden nachgeahmt werde, dann mag ich diese Person mehr, fühle eine stärkere soziale Verbindung sowie agiere gegenüber jemanden, der mich nachahmt, selbst auch pro-sozialer. Das heißt, Nachahmung führt zu einem sozialen Verbund zwischen den Menschen – die Leute connecten besser. Das wiederum kann erklären, warum wir auch im Erwachsenenalter noch andere Menschen automatisch imitieren. Nachahmung fühlt sich einfach gut an und erhöht eine soziale Verbindung zwischen Interaktionspartnern.“

Zur weiteren Erforschung des Nachahmungsverhaltens bei Menschen plant Genschow ein Beobachtungslabor in den Leuphana Labs aufzubauen. „Es gibt bislang noch wenig Forschung, die die zugrundliegenden Prozesse von Imitationsverhalten in realen und komplexen sozialen Situationen untersucht. An der Leuphana wollen wir Versuchsteilnehmer*innen in eine soziale Situation bringen, um dann ihr nonverbales Verhalten mit verschiedenen Methoden wie z. B. Motion Tracking, hochauflösenden Kamerasystemen, Herzratenmeßgeräten, Hautleitwiderstandsmessungen und Virtual Reality zu analysieren.“

Da Nachahmung positive soziale Konsequenzen hat und ein Bindungsgefühl zwischen Menschen erzeugt, wird häufig angenommen, dass soziale Faktoren dazu beitragen, dass man verstärkt nachahmt. Genschow wies mit erheblichem empirischen Aufwand nach, dass dem nicht immer der Fall ist: „Man würde glauben, dass jemand, der empathisch ist, stärker nachahmt. Oder dass man Fremde schwächer nachahmt als Bekannte. Beim Versuch, diese Annahmen zu replizieren, entdeckte ich, dass sie nicht zutreffen. Nachahmung findet automatisch und häufig unabhängig von sozialen Faktoren statt. Trotzdem gibt es Faktoren die sehr wohl Imitation verstärken oder abschwächen. Zum Beispiel finden wir, dass Menschen Roboter weniger stark als Menschen nachahmen. Wenn wir nachahmen unterscheiden wir also zwar zwischen Mensch und Maschine, nicht aber zwischen verschiedenen Menschen.“

Genschow klopft in seiner Forschung regelmäßig in der Literatur bestehende Grundannahmen ab – in einem aktuellen Projekt zum Beispiel die zur Beobachtung von Imitation. „Bisherige Forschung zu Nachahmung interessiert sich hauptsächlich für Situationen mit zwei Beteiligten. Das ignoriert aber komplett den Fakt, dass die meisten sozialen Interaktionen gar nicht zu zweit stattfinden. So finden die meisten Interaktionen wie jene in Familien, in der Bahn, in einer Vorlesung, in einem Café, oder auch politische Debatten im Parlament oder in Talkshows nie isoliert zwischen zwei Personen statt, sondern werden in der Regal von Dritten beobachtet. Deswegen widme ich mich vermehrt der Frage, wie Nachahmung von außen wirkt. Unsere bisherigen Ergebnisse deuten darauf hin, dass die nachahmenden Personen nicht sympathischer wirken, sondern eher als submissiv und als wenig machtvoll wahrgenommen werden. Die prosozialen Effekte scheinen somit vor allen Dingen dann aufzutreten, wenn man selbst Teil der sozialen Situation ist, in der nachgeahmt wird. Von einer Außenperspektive wirkt das ganz anders.“

Auch wenn Genschow als Experte für Nachahmungsverhalten gilt, ist dies nur einer von vielen Aspekten seiner Forschung. Auf grundsätzlicherer Ebene interessiert ihn die Frage, wie Wahrnehmung und Verhalten zusammenhängen und wie Wahrnehmung bestimmte Verhaltensweisen auslöst. Das ist bei Imitation besonders sichtbar, betrifft aber auch ganz andere Bereiche, wie etwa den freien Willen. „Inwiefern beeinflusst der eigene Glaube an den freien Willen das Verhalten gegenüber anderen Personen? Unsere Ergebnisse zeigen, dass Personen, die stark an den freien Willen glauben, das Verhalten anderer eher für Absicht halten, als Personen die weniger stark an den freien Willen glauben.“ Andersherum ausgedrückt: „Je weniger man selbst an den freien Willen glaubt, umso mehr ist man bereit, anderen ihre Fehler zu verzeihen. Wenn ich sehr an den freien Willen glaube, würde ich Menschen stärker für ihre Fehler oder Dummheiten verantwortlich machen und schlussendlich härter bestrafen.“

Weitere Infos

Prof. Dr. Oliver Genschow schloss 2012 sein Studium in Basel und Mannheim mit einer Promotion zur Frage wie Individuen auf Umweltreize reagieren ab. Nach einem Post-Doc an der Universität Gent in Belgien wechselte er als Juniorprofessor an die Universität zu Köln. 2022 wurde er auf eine Heisenberg-Professur am Institut für Management und Organisation an der Leuphana Universität Lüneburg berufen.

In-Mind Magazine

Neben seiner akademischen Arbeit setzt sich Oliver Genschow dafür ein, dass wissenschaftliche Erkenntnisse auch die breite Gesellschaft erreichen. So ist er unter anderem einer von vier Hauptherausgeber*innen des In-Mind Magazines. Dort stellen er und sein Team psychologische Themen populärwissenschaftlich vor: Warum glauben wir an Horoskope? Können auch positive Geschlechter-Stereotype sexistisch sein? Wie lässt sich Empathie bei Video-Calls vermitteln? Für das Engagement bei In-Mind erhielt Oliver Genschow gemeinsam mit den anderen Hauptherausgeber*innen verschiedene Wissenschaftspreise, wie z. B. den „Förderpreis Psychologie“ der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs) für die Verdienste im Bereich der Wissenschaftskommunikation.